by Leopold von Schlüsselburg » 11 Mar 2014, 21:39
Einsam war die Nacht und kalt in Leipzig, eine stundenlange Schinderei die man da auf sich nahm. Es ruckelte, es holperte und all das Tuch konnte die Kälte nicht draußen halten dieser Zeit. Was tat man nicht alles aus Liebe!
Langsam war es gegangen, ein gemütliches und gewohntes Tempo für den alten Herrn von Schlüsselburg - ganz anders als diese neumodischen Automobile, die mehrere hundert Kilometer in der Stunde zurücklegten, einen mit Irrsinnsgeschwindigkeit in die Sitze pressten und mit jeder Kurve mehr zu einer Todesfalle wurden. Die Landschaft ließ sich so auch besser genießen, ganz Strömthal...hatte einen Geschmack, der gefiel. Sicher, hier ein wenig zu barock, dort zu rokoko und überall zu...zwanghaft, aber hübsch. Pitoresk.
Zugegebenermaßen hatte der alte Herr sich etwas besorgt über die pünktliche Ankunft, insbesondere angesichts gewisser Delikatessen, die Ihn heute noch erwarteten. Ein weniges zu spät zu sein hieß, das Verfallsdatum gewisser Späße zu überschreiten. Höchst leid wäre es dem Malkavianer darum angetan und so hatte er die Dienerschaft zu Eile angepeitscht.
Trotzdem kam er als einer der letzten Neugeborenen an, glücklicherweise gerade noch rechtzeitig, um sich vom Einlass begaffen zu lassen. Bleiche Gesichter blickten in ausdruckslose Visagen, geistige Gästelisten wurden durchgesehen und dann ging es auch schon weiter.
Vier pechschwarze Rösser schlitterten wiehernd vor den Limosinen zum Stillstand. Unruhig stampften die aufgeheizten Tiere mit den Hufen und warfen die Mähne zurück. Schweiß zitterte auf ihren Flanken, Eiswolken bildeten sich vor den Nüstern. Der Kutscher - ein Cretin im schwarzen Lodenmantel - sprang herunter vom Bock und lief zur rechtseitigen Tür des Wagens. Kurz offenbarte das Mondlicht seine kränklichen, ausgehöhlten Wangen, ehe er den Kragen hoch schlug und unter der breiten Hutkrempe verschwand.
Es war eigentlich ein Fenster darin, aber ins Innere verwehrte es dennoch den Blick: Alles war mit schwarzem Tuch verhängt. Ein wenig depressiv, wahrscheinlich, etwas zu dick aufgetragen, sicherlich, aber durchaus effektiv in seiner Wirkung. Mit der behandschuhten Rechten griff der Kutscher nach der Tür, während seine Linke den Zylinder zu fassen suchte. In einer einzigen, mechanischen Bewegung zog er die Tür auf und den Zylinder ab.
Heraus aus dem schwarzen Loch der Kutsche, diesem Wahnsinnsmaul der Düsternis, auf das der alte Herr einer angeblichen Migräne wegen bestanden hatte, trat zunächst ein paar schwarzer Stiefeletten, frisch poliert für den heutigen Abend. Man vermeinte noch die Schuhwichse am Kutscher zu riechen. Den Schuhen folgte der obligatorische Gehstock sowie eine schlichte Anzughose in Blau, die ab den Knien von einem ebenfalls blauen Paletot überdeckt wurde. Ein einfacher Zweireiher, der über dem Bauch sechs Knöpfe etwas beanspruchte, die zwei über der Brust aber frei und den Kragen somit schräg anliegen ließ. Blendend poliert waren alle acht Knöpfe, die aus schlichtem Silber waren und - wie könnte es anders sein - zwei Schlüssel zeigten, die die Seitentürme einer stilisierten Burg zeigten.
Der Anzug stand dem ältlichen Vampir, der wie frisch aus dem vorletzten Jahrhundert entstiegen schien. Die Kutsche half, zugegeben.
Die Frage nach dem genauen Farbton seiner Kleidung erübrigte sich dem Kenner, denn das satte, tiefcyan dieses Blau kam selbstverständlich ebenfalls aus dem vorletzten Jahrhundert, genauer gesagt einer wundervollen kleinen Chemiefabrik im Besitze der Familie Treibel.
Gerade als der Herr hinaus war, sein Blick die Rösser streifte, scheuten Sie und versuchten in alle Richtungen davon zu stäuben. Nur das Geschirr und ein beherzter Sprung des Kutschers zu den Zügeln, hielt die Nachtmahre von der Flucht ab. Leopold verzog missmutig das Gesicht und trat, eigentlich nur über die neuerliche Unterbrechung der Reise und den notwendigen Wechsel in dieses...Automobil unerfreut, langsam nach vorn, näher unter die aufbegehrenden Steinpferde, die den Weg zum Schloss selbst säumten.
Eine kurze Pause gab ihm die Gelegenheit, den dezenten Schmuck des heutigen Abends noch einmal zu polieren. Am linken Ringfinger glänzte Sie ihm entdecken, das wohlwerte Fräulein, auf einem schmucklosen Silberring. Nur die Fassung war zärtlich ziseliert, wie Ranken die sich um die...preislose Glasmurmel drehten.
Der Kutscher stand noch immer am Wagen und hielt die Tür geöffnet, den Hut gezogen und das Kreuz gebeugt.
Der restliche Malkav würde schon da sein oder folgen, einerlei.
Der Mensch hat eine wahre Wollust darin, sich durch übertriebene Ansprüche zu vergewaltigen und dieses tyrannisch fordernde Etwas in seiner Seele nachher zu vergöttern.
- Friedrich Nietzsche