by Anna-Lukardis von Egidy » 14 Nov 2014, 12:12
[OT: Sorry, ich hatte Kalebs Posting übersehen und daher mein Eigenes nochmal kurz überarbeitet]
Auf Martins Frage ging Anna gar nicht erst ein, denn sie hielt das wohl für selbsterklärend. Stattdessen sah sie dem Brujah zu, wie er sich entfernte, sich wieder annäherte, den ungefähren Platz einnahm, den sie ihm zuvor gezeigt hatte und nickte dann als Bestätigung dafür, dass es so weit schon einmal richtig war.
„Guten Abend, Herr Cooper.“ sagte sie dann, obwohl sie genau das schon einmal gesagt hatte. Aber bevor jetzt das komplette Prozedere der Begrüßung durchgespielt wurde, schob sie der Riegel einen kleinen Riegel vor, indem sie direkt weitersprach.
„An dieser Stelle würden Sie meine Begrüßung erwidern. Wenn Sie jemanden bisher noch nicht persönlich kennen gelernt haben, beziehungsweise sich noch nicht vorstellig machen konnten, dann wäre jetzt der Zeitpunkt, um das nachzuholen. Sie könnten zum Beispiel sagen: Guten Abend, Frau von Egidy. Erlauben Sie, dass ich mich kurz vorstelle? Daraufhin würde ich dann nicken oder Ihnen Ihre Frage anderweitig bejahen. Dann stellen Sie sich mir vor, danach ich mich Ihnen. Und dann endlich kann ein Gespräch beginnen.“
Dieses Mal verzichtete sie darauf, das Gesagte direkt von Martin wiederholen zu lassen oder ihn das Gesagte durchspielen zu lassen. Dafür war an einem anderen Abend Zeit.
„Gestern haben Sie das ganz gut gemacht. Sie haben sich angenähert und abgewartet, bis Herr Kasakow Sie angesprochen hat. Was weniger glücklich war, war, dass Sie mich nicht begrüßt haben, nachdem wir einander vorgestellt wurden. Und dass Sie die Korrektur von Herrn Kasakow bezüglich Frau Ashina noch einmal wiederholt haben. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich annehmen können, dass Sie mir ganz bewusst auf die Füße treten wollen. Dass Sie dann auch direkt Ihre Meinung kundgetan haben, das hat bei mir natürlich schnell den Eindruck erweckt, dass Sie ein Großmaul sind, das erst redet und erst später vielleicht denkt. Und Sie tragen das, was Sie denken, in ihrem Blick, in ihrer Mimik sehr offen zur Schau. Das kann Ihnen sehr schnell nachteilig ausgelegt werden.“
Die Worte klangen vielleicht nicht schön, aber sie waren wenigstens höflich ausgesprochen. Und die kleine Ventrue machte jetzt nicht unbedingt den Eindruck, als hätte sie großen Spaß daran, andere zurecht zu weisen. Sie erfüllte hier doch eigentlich nur eine Pflicht.
„Bei mir haben Sie jetzt ein Jahr lang die Möglichkeit, den ersten Eindruck nachhaltig zu revidieren. Bei anderen hat sich dieses Bild von Ihnen mitunter aber schon nach Sekunden dauerhaft eingeprägt und Sie werden Jahre brauchen, um einen besseren Stand zu gewinnen. Falls es Ihnen überhaupt noch gelingt.“
Sie ließ kurz wirken, was sie gesagt hatte, aber Anna war für den Moment noch nicht fertig.
„Aber warum nun das alles hier? Sicher nicht, um Sie zu gängeln oder weil uns allen langweilig ist.“
War Humor noch Humor, wenn er so trocken und ohne jede Regung, die man als Lächeln oder Amüsement hätte ansehen können, dargebracht wurde?
„Wenn es greifbarer für Sie ist, dann sehen Sie die Etikette und die gängigen Verhaltensregeln doch einfach als Ihre ganz persönliche Rüstung an, mit der Sie sich davor schützen, gesellschaftlich zerfleischt zu werden. Worte wiederum wären Ihre Waffe auf dem gesellschaftlichen Schlachtfeld. Sich in der Etikette zu üben, seine Umgangsformen zu verfeinern, nach den Regeln zu spielen, das ist nichts weiter als Taktik. Tun Sie es nicht, bleiben Sie auf dem Spielfeld ewig der Bauer.
Die heiligen Traditionen bilden zusammen mit einem System der Hierarchien die kainitische Gesellschaft, Strukturen, die auf Status beruhen. Das ist für Sie nichts Neues, schon als Sterblicher haben Sie in einer hierarchischen Gesellschaft gelebt. Bei dem Menschen wird sehr genau unterschieden, wer welcher sozialen Schicht angehört, welchen Beruf er ausübt, wie viel Geld er hat. Das können Sie gut auf unsere Gesellschaft ummünzen, aber ersetzen Sie die soziale Schicht durch Clanszugehörigkeit, den Beruf durch Amt und Würde und das Geld durch Ansehen.“
Noch eine Pause.
„Sie kommen aus der neuen Welt. Ihnen sind scheinbar viele Grundlagen nicht bekannt, die hier in der alten Welt eine selbstverständliche Voraussetzung dafür sind, um überhaupt erst den Freispruch zu erhalten. Seien Sie nicht beleidigt, Herr Cooper, aber ich sage Ihnen, wie es ist: Hier in der alten Welt sind Sie nicht viel besser als ein Kind. Aber das soll so ja nicht bleiben?“
Wieder eine Pause und Anna wurde auf Kaleb aufmerksam, wobei sie diesen nur kurz ansah. Direkt danach blickte sie wieder zurück zu Martin.
„Jetzt entsteht die Situation, dass wir beide uns in einem Gespräch befinden und uns wird signalisiert, dass sich jemand daran beteiligen möchte. Ich bin dem nicht abgeneigt und übergebe Ihnen die Aufgabe, die Gesprächsrunde mit einer dritten Person zu vervollständigen. Wie gehen Sie dabei vor?"
You can't teach an old dogma new tricks.