by Anna-Lukardis von Egidy » 31 Oct 2014, 10:03
Leipzig war überall rund um sie herum. Anna selbst konnte nicht jedes Bild und auch nicht jedes Kunstwerk einordnen, dafür wäre ein Führer eben doch praktisch gewesen, aber es schien etwas zu geben, das sie über all das hinweg, was man auf dem Weg zum eigentlichen Vorstellungs- oder Vorführraum betrachten konnte, beeindruckt hatte.
Seien Sie vorsichtig mit ihren Erwartungen. Die Hüterin sagte das und die matten, toten Augen sahen zu der Rose hin, der Mund aber sagte nichts dazu. Im Moment gab es vielleicht auch gar nichts, das man noch hätte sagen können, denn manchmal sagten Bilder mehr als Worte? Nur dass es keine Bilder mehr gab.
Sie erreichten einen runden Raum, der nur von einer Seite aus zugänglich war. Das kühle Licht darin war gedämpft wie in einem Kino, man sah eben genug, um auf das Podest in der Mitte zu finden, ohne sich dabei großartig orientieren zu müssen. Die Geländer führten die Besucher ja eh nur in diese eine Richtung und so fanden sich die Toreador und die kleine Ventrue auf einer runden Plattform wieder, die von Schwärze und weißem, indirektem Licht umgeben war. Sitzmöglichkeiten gab es keine. Warum, das erklärte die runde Form des Raumes von selbst. Man sollte die Möglichkeit behalten, sich drehen und wenden zu können, wie man es gerade wollte. Aber das Schwarz war links genau so düster wie rechts?
Ein Zeichen seitens Annas gab es nicht. Sie stellte sich einfach nur in die Mitte des Podests und wenn Jean auch zum Stillstand kam, dann ging das Licht für eine Sekunde komplett aus. Die Dunkelheit und die Stille, die einen Moment lang drohten, sie beide zu verschluckte, wurden von Wagner und eine Bild, das langsam um sie herum aufglimmte, verdrängt.
Leipzig bei Nacht.
Sie befanden sich irgendwo weit darüber, vielleicht auf dem höchsten Punkt der Stadt. Der Unterschied war nur, dass ihnen hier Wind und Wetter nichts ausmachen würden, aber so wie es aussah, befanden sie sich jetzt gerade eh in einer klaren Nacht. Das Bild stand erst still, dann bewegten sich träge und unzählige Lichter durch die Straßen und wurden schneller, bis nur noch gelb-orange-rote Lichtlinien das dunkle Bild der Stadt unterbrachen. Dann nahm Wagner eine neue Wendung und man fuhr ohne sich zu bewegen langsam durch die Stadt, vorbei an Denkmälern, die so, in dieser Weise, gar nicht beieinander standen. Blickwinkel, die man nur von oben haben konnte oder von ganz tief unten, das variierte. Ohne jede Hektik lernten sie die Stadt kennen. Aber noch reisten sie nicht in der Zeit zurück, im Moment gab es nur das hier und heute, das vertraute Bild einer Stadt, die im Dunkeln lag.
Dann endete die Reise durch die Straßen und sie nahmen gemeinsam wieder die Perspektive eines Vogels ein. Die Bilder ruhten wieder, zeigten einmal Leipzig in der Frühlingsnacht, in einer Sommernacht, im Herbst und im Winter und so direkt hintereinander gezeigt fiel auf, wie groß die Unterschiede waren, selbst in der Nacht.
Bis auf den Eingang zu dem übermäßig großen Raum waren die Wände, der Boden, mit Bildmaterial erfüllt. Als würde man schweben. Und als Wagner zur Dramatik wurde, sahen sie über die Dächer der Stadt hinweg zum Horizont und dieser begann erst einen schmalen, goldenen Faden zu zeigen, welcher langsam zu glimmen begann und dann tiefrot, violett, blau und gelb zu brennen.
Nur einen Moment noch, dann würden die Schatten unter ihnen immer unaufhaltsam länger werden.
You can't teach an old dogma new tricks.