Critters [Jean]

[Cornelius]

Irgendwann im frühen Herbst 2008 wurde in Jean Carpenter's Schließfach ein Brief hinterlegt, dessen Absender man vielleicht nicht im ersten Moment erwartet hätte. Schlichtes Kuvert, einfacher A4 Papierbogen, von einem Laserdrucker bedruckt. Nur die Unterschrift war von beinahe kleinlicher Präzision und fast schon zierlich von Hand darunter gesetzt. Inhaltlich las sich das Schreiben wie folgt:

Wohlwerte Jean Carpenter
Neugeboren im Clan der Rose,

Vicaria Vitae der sehr verehrten Signora Leta,
Ancilla vom Clan Toreador,
Erstgeborene Ihres Blutes zu Leipzig,
Hüterin des Elysium Pleißenburg,

nachdem ich die Gelegenheit zu einem gemeinsamen Gespräch auf dem Neujahrsempfang seiner hochverehrten Majestät im vergangenen Jahr leider nicht ergreifen konnte, würde ich dies nun gerne nachholen. Es wäre mir daher eine Ehre, Sie für einen gemeinsamen Austausch in den heiligen Hallen des Elysium Pleißenburg zu einem Zeitpunkt Ihrer Wahl zu gewinnen.

Sollten Sie diesen Wunsch teilen, lassen Sie mich wissen wann auch immer Sie meine Anwesenheit auf heiligem Boden erwarten. Bis dahin verbleibe ich ergebenst,

Cornelius
Neugeborener vom Clan Nosferatu
Erstgeborener der Verborgenen zu Leipzig

[Jean Carpenter]

Es vergingen etwa sieben Nächte, dann erhielt der Nosferatu ein Antwortschreiben. Der weiße, feste Umschlag war nicht beschriftet worden und einzig von einem roten Siegel mit den Initalien JC verschlossen worden. Brach er das Wachs, lag in dünnes Japanpapier gewickelt, schwere Bütte mit einem floralen Wasserzeichen. Die Zeilen jedoch maschinell erstellt, vermutlich von einer alten Schreibmaschine, denn die Buchstaben waren hier und da mal etwas blasser.

„Werter Cornelius,
Neugeborener des Clans der Verborgenen,
Erster seines Blutes zu Leipzig,

seien Sie sich gewiss, dass ich mit großer Neugier einem gemeinsamen Gespräch entgegenblicke und Sie hiermit am Abend des [Datum] Anno Domini 2008 zur 23. Stunden in den heiligen Hallen erwarten werde.

Bis dahin verbleibe ich mit den besten Grüßen

Jean Carpenter,
Neugeborene des Clans Toreador,
i.V.
Primogen der Rosen zu Leipzig,
Hüterin des Pleißenburg Elysiums.“

[Cornelius]

Pünktlich zum Glockenschlag der vereinbarten Stunde, führten lautlose Schritte den Nosferatu durch die rustikale Szenerie des "neuen" Leipziger Rathauses. Die knochigen Hände hatte er hinter dem Rücken ineinander gelegt, seine Haltung war... leicht bucklig... was ihm ein leicht gebeugtes Erscheinungsbild verpasste. Seine Kleidung schien für die Verhältnisse angebracht, wenn auch nicht unbedingt neu... eher bereits anfänglich muffig: Ein schwarzes Sakko zu einer ebenso schwarzen Stoffhose, ein Rollkragenpullover unter dem Sakko, dunkelbraune, fahl glänzende Herrenschuhe.

Auch der Rest seines Antlitzes war ungeschönt und offenbarte das wahre Gesicht des Verborgenen: Ein Kahlkopf, überzogen von mit Brandnarben übersäter, schuppiger Haut, vergilbt und tot im Teint. In den dunklen Augenhöhlen waren zwei gänzlich weiße Augen eingebettet, die in einem ebenso gelblichen Schimmer wie Scheinwerfer aus seinem Schädel glotzten - ohne jegliche Form von Pupille oder Iris. Übergroße Ohrläppchen, von denen auf einer Seite ein Stück fehlte, rundeten die Monstrosität ab. Es waren nur die oberflächlichen Details, die ihn wirklich zu einer Grässlichkeit machten, denn die Grundzüge an sich waren nach wie vor sehr menschlich.

Mit dem Blick auf die Eingangshalle gerichtet platzierte sich der Verborgene am Geländer der Galerie, wo er für seine Verhältnisse recht prominent Anwesenheit demonstrierte. Ein ungewohnter Vorgang für jemanden wie ihn.

[Jean Carpenter]

Es war nicht, dass der Nosferatu hätte lange in seiner Position verharren müssen - in welcher er ohne Zweifel ein Stück des heiligen Bodens bewundern konnte - denn viel Spielraum war mit der Pünktlichkeit nicht gegeben worden. Bisweilen schien bisher niemand anderes für diese Nacht das Rathaus aufgesucht zu haben und die Stille der Räumlichkeiten dominierte das hohe Gewölbe für wenige Sekunden, bis ruhige, aber zielsichere Schritte sich ihm seitlich näherten – ohne das ihr das Antlitz sich zuvor präsentiert hatte. Wenn man nur von dem Klang der Absätze ausgehen wollte und ein feines Gehör für dergleichen besaß, so konnte man bereits mutmaßen. So vieles. Ein fester Gang, auf weichen Sohlen. Vermutlich Leder – ohne knirschen. Mehrfach getragen und schon eingelaufen. Regelmäßig, fast rhythmisch, also geübt damit zu gehen. Nicht besonders hohes Schuhwerk. Nicht zu schmal und nicht zu breit der Hacken. Aber ob und wenn ja, was es über die Person dahinter aussagen wollte, blieb doch nur seinen eigenen Gedanken überlassen.
So man sie ansehen wollte, wäre sie Cornelius gegenüber wohl ein konkretes Gegenteil. Ihre Haltung aufrecht und gerade, in ihrer Körpergröße damit voll ausgeschöpft, käme sie nun fast an die 180cm heran. Dennoch blieb sie nicht von voluminöser Statur, mehr eine schmale, burschikose Figur, von der sie die bleichen Beine besonders hervorhob, indem die Kleiderwahl auf einen Einteiler mit kurzen Rock mit Einschneidungen gefallen war. Ganz in weiß, hob sich die Haut kaum von der Farbe ab und einzig die Akzente in Form von Accessoires stachen somit heraus. Eine lange Silberkette, die sicherlich bis zum Bauchnabel fiel, von dem Gewicht eines großen Anhängers heruntergezogen. Letzterer war dunkelrot, passend zu den Tropfen förmigen Ohrringen, in einer floralen Fassung gehalten. Ihr Haar wie gewöhnlich kurzes Hellbraun, in seitlicher Wasserwelle, hatte noch eine Spange erhalten, in Form einer Feder, die über dem Ohr angelegt war. Bordeaux die Lippen, so wie auch die Nägel. Schwarz um die Lider. Grünbraune Iris. Ein schwacher Duft von Lavendel wäre dazu wahrnehmbar.

[Cornelius]

Ihre Schritte vernahm er bereits frühzeitig... eine feine Ausprägung der Wahrnehmung, die das Leben in absoluter Dunkelheit und Stille mit sich brachte. Und doch reagierte er nicht sofort darauf. Er konzentrierte sich auf die Regelmäßigkeit Ihres Schrittes, Ihren Takt und Rhythmus, Einzelheiten die nicht selten schon so viel über eine Person erzählen können. Dann traf Lavendel auf... Hausstaub. Mottenkugeln. Hauskeller. Dieser leicht muffige Geruch, den jeder schon irgendwann mal erlebt hat: Nicht streng genug um einen wirklich zum zurückweichen zu drängen, aber dennoch unterschwellig unangenehm.

Der Nosferatu drehte seinen Körper in Ihre Richtung. Die toten weißen Augen starrten die Rose an wie zwei Suchscheinwerfer... aufmerksam und auf eine befremdliche Art und Weise neugierig. In einer zügigen Bewegung neigte er dann sein Haupt und mit ihm seinen Oberkörper nach vorne. Eine leicht angesetzte Verneigung wenn man so wollte... nichts was einem ranghöheren Kainskind genüge getan hätte und doch mehr als es für einen 'einfachen' Neonaten ausreichend wäre. Es ließ ihn noch buckliger und unterwürfiger wirken, als seine Grundhaltung an sich es schon tat. Stumm verharrte Cornelius in dieser Position, die Zeit um sie herum erstarren lassend.

[Jean Carpenter]

Wie die Schritte ausgeklungen waren, hatte sich ihr Fokus einzig auf die Gestalt des Nosferatu gelegt, als gäbe es nichts weiteres hier, das größeres Interesse verdient hätte. Und obgleich seine Erscheinung sicherlich für den ein oder anderen mehr als unansehnlich sein mochte, so zeigte sich in ihrer Mimik dahingehend keinerlei Anzeichen. Weder regten sich die dunklen Pupillen zu einer Musterung an noch zeigte sich ein Ausdruck von Ekel oder übertriebener Distanz. Dass dabei auch jegliche Form von Irritation oder Überraschung ausblieb, sprach wohl für sich selbst.

Während er sich leicht zu verneigen begann, konnte er sich dabei ihrer weiteren Aufmerksamkeit mehr als gewiss sein. Das Gefühl, welches ihn beschlich, konnte zwar aus dem reinen Wissen heraus geboren worden sein, oder auch durch beigemischte Paranoia, aber es war da. Das schleichende Gefühl um die Sinne. Wie ein Flüstern im Nacken. Es vergingen nur einige Sekunden so, vielleicht weniger als man erwartet hätte, bevor sie die aufkommende Stille durchbrach – und sie ihn damit gleichermaßen entließ?

Den Kopf ein Stück weit senkend, hatten sich ungesehen ihre Mundwinkel zuvor schon ein Stück angehoben, zeichneten ihre Züge mit einem weichen Lächeln, um das folgende zu unterlegen.

„Einen guten Abend...“ ihre Stimme erhielt die Ruhe in der äußerlichen Erscheinung, wenngleich sie doch auch tiefer blieb, als man von ihrer Gestalt hätte annehmen wollen. Ein angenehm dunkler, samtiger Ton. „...und willkommen.“

[Cornelius]

Er ließ Ihren Worten und Ihrer Person genügend Zeit, sich zu entfalten und auf ihn zu wirken. Kein äußerer Einfluss vermochte diesen Moment der Nacht zu stören. Keine Hektik in einem Leben das nur durch Fehlschritte in seiner Zeit begrenzt werden könnte.

"Cornelius. Neugeborener vom Blute der Verborgenen, Erster der Meinen in Leipzig."

Erwiderte seine vielleicht ein wenig unerwartet sanfte Stimme die Ihre. Sie wirkte etwas Gegensätzlich zu seiner Erscheinung, geradezu zierlich und zurückhaltend, wenn man so wollte. Heiser klang sie dennoch ein wenig. Somit brachte er der heiligen Tradition in diesen heiligen Hallen seinen notwendigen Respekt entgegen. Die Gestalt richtete sich wieder auf und blickte Jean unverändert leer an.

"Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben."

Höfliche Worte und ein freundlicher Ton, ausgehend von einer eher zurückhaltend wirkenden Monstrosität. Mehr folgte zunächst nicht. Vor ihrer nahezu blendenden Schönheit und Grazie hätte er allen Grund dazu gehabt, sich schlecht zu fühlen für das, was er war. Doch als Nosferatu lernt man bereits früh genug sich nicht allzu sehr an dem dunklen Mal zu zermürben, das einem Zeit seines Kusses in die unsterbliche Wiege gelegt wurde. Nein - er schon gar nicht.

[Jean Carpenter]

Auch sie schien sich nicht in Eile zu ergehen, denn im direkten Vergleich zum vorherigen Moment, zog sich der jetzige doch eine deutliche Nuance länger. Vielleicht musste gleiches mit gleichem vergolten werden, und auch hier das Gesagte seine Entfaltung finden, bevor die Toreador gedachte, weitere Worte den Zwischenraum füllen zu lassen. Viel Veränderung in ihrer Haltung nahm sie dabei nicht vor, ganz im Gegenteil, viel mehr schien es, als machte sie hier in den Räumlichkeiten keinen Hehl daraus, dass sie nicht mehr den biologischen Gegebenheiten unterlegen war. Keine Atmung, keine unnötige Regung.

Nur kurz vor ihrer Erwiderung intensivierte sich das Lächeln noch einmal, ehe es letztlich von dem Trennen der Lippen zerstört wurde.

„Es ist mir eine Freude.“ ihre Tonlage hatte sich dabei ebenso wenig geregt, wie der Rest ihres Körpers. Und obgleich die Worte gleich einer Floskel blieben, mochte etwas in der Betonung davon zeugen, dass sie es hervorheben musste.

„Jean Carpenter, Neugeborene des Clans Toreador, derzeitige Primogen der Rosen zu Leipzig ebenso wie Hüterin dieses Elysiums.“ eine Formalität, wohl nicht mehr, zumindest erschien ihre Aussage viel beiläufiger als die vorherige. Sie gab ihm noch die Möglichkeit etwas darauf zu entgegnen, bevor sie fortfuhr. Die Linke ein wenig anehebend, deutete jene vage an dem Nosferatu vorbei.

„Gehen wir doch ein Stück.“

[Cornelius]

Er blickte hoch zu der Toreador, als diese das Wort ergriff und neigte das Haupt erneut, als diese ihn dazu einlud, sie zu begleiten. Dies tat er dann ohne sie lange warten zu lassen. Sein Schritttempo passte sich geradezu übergangslos an das ihre an, während seine Hände ineinander griffen. Worte würde er zunächst keine verlieren - ein wenig, als hätte er im stillen gemeinsamen Einverständnis verstanden, dass er nicht an der Reihe war. Ein ungleiches Paar waren sie, wenn man sie so beobachtete. Ungleicher könnte es kaum kommen in den heiligen Hallen einer kainitschen Gesellschaft. Die Schöne und das Biest, zwei abzweigende Blutslinien ausgehend von ein und dem selben Ursprung, wenn man den Legenden glauben mochte. Und gerade im Moment gab es kaum etwas, das unglaubwürdiger aussah.

[Jean Carpenter]

Dass er ihre Worte nicht zu kommentieren gedachte nahm sie wohl lediglich zur Kenntnis, denn sie ließ dem aufkommendem Schweigen zwischen ihnen noch weiteren Raum und rückte die Fensterfront in den Fokus – wenn auch wohl mit wenig Aufmerksamkeit für diese. Das schwache Lächeln der Züge blieb dabei im Hintergrund, während ihre Finger der eben gehobenen Hand eher wie beiläufig mit ihren Kuppen über die obere Schicht der Perlen ihres Kleides strichen.

Ein Außenstehender wäre wohl zu abgelenkt von ihrer konträren Erscheinung, als dass er sich Gedanken darum gemacht hätte, welche Atmosphäre zwischen ihnen vorherrschte und so die Stille auch für jenen Beobachter zu interpretieren nach hinten gerückt wäre. Wie es jedoch dabei um die jeweils Beteiligten stand, das mochte eine andere Frage sein. Jean zumindest wollte erst nach etwas über einer Minute mit der dunklen Stimme in diesen Moment einschneiden.

„Wissen Sie, ich bin doch eine relativ neugierige Persönlichkeit...“ begann sie mit einem leicht sinnierendem Unterton, als müsste sie die eigenen Worte beim Aussprechen selbst noch überdenken – oder zumindest die darauf folgenden.

„...und es gibt sicherlich das ein oder andere Thema mit dem man mich für ein Gespräch gewinnen könnte...“ möglicherweise lag es an dem weiterhin bestehenden Klang im Untergrund, dass der nächste Eindruck von Beiläufigkeit entstehen wollte, oder doch viel mehr an der mangelnden Pausierung, die sie zwischen diese Aussagen legte.

„...aber vorab würde ich gern sicherstellen, ob Sie sich unbehaglich fühlen?“ eine Winzigkeit, dass sich gegen Ende des Satzes ihre Intonation anhob und zeitgleich ihr Augenmerk seitlich in die Winkel wanderte, um sein Profil zu erfassen.