Die junge Frau, die das letzte mal hinter der Glasscheibe gesessen hatte, bevorzugte in dieser Nacht den runden Rattantisch gegenüber der Treppe, um in bequemerer Haltung ein Buch zu lesen. Vor ihr lag dazu ein Notizheft samt Kugelschreiber, der ab und an aufgegriffen worden sein musste, da bereits einige Wörter auf die vorgegebenen Linien gesetzt waren. Wie die Doppeltür zu diesem Vorraum vom Gang her aus öffnete, warf sie einen Blick über den Rand hinweg, nur um kaum eine Sekunde darauf schon mit dem Erheben ihren Zeitvertreib zuzuschlagen und beiseite gelegt zu haben. Ein Lächeln, freundlich in der Art, wurde dem Eintretenden geschenkt und mit einem abendlichen Gruß bedacht, sobald die Aufmerksamkeit dafür auf sie verwendet war. Unverändert hatte sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, trug einen schwarzen Rock mit weißen Kreisen und eine dazugehörige Chiffonbluse, ein wenig im Stil der 70er in den USA, mit passend großen Ohrringen.
Sie würde den Ventrue geleiten – wenn auch dieses Mal nicht in den Saal vor die Bühne, sondern hin zu den Stufen, die für gewöhnlich mit dem roten Kordelband abgesperrt lagen. Heute jedoch war davon nichts zu sehen und so konnte der Teppich die Schritte leise nach oben führen. Erneut wie bei einem Gang, vorbei an einer Tür, hin zur nächsten. Ihm diese offen haltend, wartete sie, bis er hinein geschritten war und sich somit auf der Balustrade des Hauptraumes einzufinden. Ein runder Tisch, anders als jene auf die man hinab sah, mit gepolsterten Stühlen, bildete den Fokus – wenn man von der Aussicht und dem Bordeaux der Decke mit der Wandbemalung einmal absah. In warmen Licht, wirkte es hier eher diffus und von Schatten gesäumt, dafür aber weiterhin absolut geräuscharm. Die Toreador selbst war noch nirgends zu sehen, was auch gleich von der Dunkelblonden erklärt wurde.
„Ich werde Frau Carpenter bescheid geben. Einen Augenblick bitte.“ und damit verabschiedete sie sich auch bereits und zog hinter sich die Tür wieder zu. Der Saal gehörte nun ihm allein und wenn er es wollte, konnte er eben diesen auf sich einwirken lassen. Von hier oben war die Ansicht eine andere. Jeder Winkel wäre zu sehen, wenn man den Weg der U-Form einmal entlang schritt, während das Deckengewölbe so nah war, dass man es merken wollte und doch zu weit entfernt blieb, um es berühren zu können. Viel Arbeit hatte man in die Restaurierung gesteckt. Zumindest waren die Fresken und Verzierungen detailreich – die meisten in floralem Design. Auf dem Tisch lag eine Lorgnette aus Silber, deren Griff ebenfalls reichlich verziert, dennoch schon ein Stück weit abgenutzt und angelaufen schien. Eine lange silberne Kette hin daran, die zu einem Wirrwarr gerollt daneben lag.
Und obgleich das Gebäude direkt an der Straße erbaut worden war, so vermochte man im Inneren davon nichts mitzubekommen. Kein Geräusch von außen trat herein, es war gar unmöglich zu sagen, welches Wetter vorherrschte – falls man sich denn darüber Gedanken machen wollte.
Letztere wurden schließlich durch das Eintreten der Engländerin unterbrochen, so die eigenen Wahrnehmung dies zuließ. Wie wohl nicht anders zu erwarten gewesen, trug diese heute ein weiteres ihrer kurzen Kleider im hellen
Ton und ebenso zahlreichen Feinheiten. Das brünette Haar lag seitlich zur Wasserwelle und um ihren Hals baumelte eine lange Perlenkette, zu der sie lange Ohrringe mit ovalem Onyx trug. Ein Fuchs bedeckte die Schultern und ein sachtes Lächeln ihre dunkelroten Lippen. Mit einem stillen Blick bedachte sie den Gast aufmerksam und trat einige, wenige Schritte vor, als die Tür sich hinter ihr schloss.