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Juli '14- Nie wieder!


Juli '14- Nie wieder!

Postby Josephine Schwartz » 30 Jul 2014, 16:11

“Nie wieder!“ Bewegungslos saß sie da, die Augen unter den dichten, langen Wimpern verborgen, ehe sie langsam den Regler hochdrehte. Sie spürte das leichte Kribbeln, dass langsam zu einem anhaltenden Schmerz heranwuchs, ein Brennen und schließlich... die Pupillen weiteten sich langsam unter den geschlossenen Lidern, verdrängte das stählerne Grau der Iris. Sie konnte es spüren: Das Gefühl als würden viele kleine Ameisen unter ihrer Haut krabbeln, der Schauer in der Wirbelsäule, das langsam hochkroch in Nacken und Schultern. Ihr Puls stieg, der Herz schlug gegen die Brust- in einem regelmäßigen, anziehenden Takt in Harmonie mit ihrem sich ausdehnenden Atem. Ein zufriedenes, selige Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus, während ihre Gedanken zur Ruhe kommen, der Sturm an zusammenhangslosen Eindrücken und Fetzen zu einem seichten Hintergrundwispern verblassten, verschmolzen im Ohrenrauschen, im gefühlten Fall. Die Zeit zog sich wie ein gespanntes Gummiband zusammen, raffte sich, wurde zu Momentaufnahmen, kleinen Augenblicken die sich zu einem großen Ganzen zusammenfügten. Und dann war es schon wieder vorbei... . “Nie wieder!“, dachte sie, nun ruhiger, nicht mehr unter der Spannung die sich aufgestaut hatte. Ihre Nerven waren nun wieder polierter Stahl, Drahtseile die alles heben, stemmen und tragen konnten, ihre Muskulatur gehorchte ihr, ihr Verstand scharf wie ein Messer. Und doch waren die Grenzen noch zu eng gefasst- der Körper zu schwach, der Geist zu stumpf. “Niemals wieder.“ Den Kopf schüttelnd lachte sie leise, leichte bitter und sich über sich selbst lustig machend, während die empfindlichen Fingerkuppen über die schmerzende Naht strichen, über das farbenfrohe Mahnmal, schließlich tonlos raunend: „Lügnerin.“ Erneut drehte sie den Regler nach oben...

Schweigend hielt sie ihren Oberarm. Ihre Seite pochte, dort, wo der Stiefel sie getroffen hatte. Sie saß auf der Couch, betrachtete das Blut, welches über die Haut sickerte, einen Kontrast bildete. So schön hell und intensiv. Leises Schluchzen drang an ihr Ohr. Nicht das Ihre, sondern dass der Frau, welche dort auf dem Boden kauerte, an der Wand gelehnt und leicht wippend, die fettigen Haare vor dem Gesicht, das Shirt war ihr halb von der Schulter gerutscht und seit Tagen nicht gewaschen worden. Vor. Zurück. Zurück. Vor. Irgendwo im Hintergrund, passend zu dem Wippen, tickte eine Uhr. Ein regelmäßiger Takt... so wie ein Herzschlag. Unbemerkt tippte der Finger dazu, ansonsten jedoch war sie regungslos. Die Wahrnehmung der Beobachterin blieb eher auf das hübsche Rot fixiert, dass sich von ihrem eigenen leichtem, unregelmäßigen Braun abhob. „E..es... es tut mir... ach mein Engel... ich... es... .“ Das Schluchzen ging von vorne los. Die gleiche Leier, das gleiche Lied. Die junge Frau erhob sich aus dem Sessel, verzog leicht das Gesicht ob des unangenehmen Ziehens in der Seite, griff zu der Küchentuchrolle die auf dem Wohnzimmertisch lag, rollte sie ein Stück weit ab, bis die Tücher zumindest so aussahen als könnten sie nicht bakterienverseucht sein und nahm sich ein sauberes Blatt davon, tupfte das Blut soweit ab. „Ich muss los.“ Ihre Stimme war ruhig- zu ruhig. „Das muss genäht werden.“ Kein Lächeln zierte ihr Gesicht, als sie sich abwandte. „Nein!“ Arme schlossen sich um ihren Schenkel, Finger krallten sich kurz darauf in das Bein. „Nein! Geh nicht... .“, schluchzte die Ältere. „Es... es wird alles wieder … es wird aufhören. Du...ich höre auf. Versprochen. Es wird nicht wieder passieren. Nie wieder... !“ Die Stehende blickte hinab, erwiderten die roten, verquollenen Augen emotionslos. „Nie wieder... .“, murmelte sie leise, ehe sie sich aus dem Griff löste, sich drehend und den Raum durchquerte. Erleichtert wirkend wurde sie gelassen. Hoffnungsvolle Blicke folgten ihr. „Ja, nie wieder.“ Zuhörend nickte die Verletzte nur, ging vor einem kleinen Schrank in die Hocke, öffnete diesen, um eine Flasche hervorzuholen, gefüllt mit einer bräunlichen, durchsichtigen Flüssigkeit. Sich langsam wieder aufrichtend, kehrte sie zu der Sitzenden zurück und reichte sie ihr wortlos, mit eisigem Blick. Schweigen hing im Raum, schwer und erdrückend. Schließlich nahm ihr Gegenüber die Flasche. „Wasch dich mal wieder.“, sagte die Stehende noch einmal, ehe sie ohne weitere Worte die Wohnung verließ...

Die Lippen fest zusammengepresst, die Schneidezähne in der unteren vergrabend, kauerte sie zusammen gerollt am Boden, die Arme schützend um den Kopf gezogen, mit den Ellenbogen den Hals deckend. Sie gab keinen Ton von sich, auch nicht als der Stiefelabsatz sie direkt auf Nierenhöhe traf. „Du scheiß Fotze!“, gellte es hysterisch. “Den Magen schützen.“, dachte sie und zog die Knie enger an ihren Körper. “Du könntest auch zurückschlagen.“ Würde sie nicht. Hat sie noch nie. Diese Grenze durfte sie nicht überschreiten. “Ertrag es einfach, Bitch.“ Wieder ein Tritt- dieses Mal auf den Kopf gezielt, doch von der Hand abgefangen. Ihr Knöchel knackte. „Verpiss dich aus meinem Haus! Ich will dich nie wieder sehen.“ Sie schloss die Augen. Es war eine Routine. Immer der gleiche Ablauf, die gleiche Melodie- es würde sich nie ändern. Vielleicht, wenn sie doch einmal traf, was sie nicht treffen sollte. Tief und kontrolliert Luft holen- zu den richtigen Momenten anhalten; es einfach ertragen. Erst jetzt wurde ihr die Stille bewusst, die Brünette richtete sich langsam auf. Ihre Wahrnehmung war auf das eigene Befinden konzentriert, darauf getunnelt. Nicht fühlen. Nur denken. Nur überprüfen. Sie nahm die Arme runter, sah sich vorsichtig um. War es schon vorbei? “Das ging ja schnell.“ Da- eine Bewegung von der Seite her. Sie hatte es nicht kommen sehen. Schwerer Fehler. Es war zu spät, um den Arm hochzuziehen. Sie drehte sich, riss den Kopf zur Seite. Etwas traf sie hart an der Schulter, zerschellte, schnitt ihr durch Stoff, Haut und Fleisch. Dieses Mal löste sich ein Schrei. “Das ist mir schon lange nicht mehr passiert.“, dachte die irrationale, denkende Seite. Die andere reagierte. Schrie und suchte Abstand. „Schau mich nicht an! Schau mich nicht mit seinen Augen an!“ Sie hatte die Couch zwischen ihnen beiden gebracht, senkte dabei den Blick, gerade genug sie nicht weiter zu provozieren, ausreichend um sie noch im Auge zu behalten. Die zersplitterte Flasche lag auf dem Boden. Helle Flüssigkeit verteilte sich auf diesem, durchtränkte den Teppich. Der Geruch noch Hochprozentigem dominierte. „Du nimmst ihn mir nicht auch noch weg du Arschloch!“ Ihr Blick hob sich wieder, fixierte die ältere Frau mit dem grau meliertem Haar. Die Stimme war weinerlich geworden, weniger hasserfüllt, durchdrungen von erstem Schluchzen. Aha... jetzt war es vorbei. Sie wartete einen Moment, spürte ihr Shirt feucht werden, dort wo das Glas sie geschnitten hatte. Und mit dem Nachlassen des Adrenalins kam der Schmerz, kam die Müdigkeit. Tonlos suchte sie den Sessel auf, um sich auf ihm niederzulassen, die Andere schweigend anstarrend... einfach abwartend... einfach verharrend...

Abgestandene Luft schlug ihr entgegen, kaum dass sie mit seinem Schlüssel die Türe öffnete. Der Gestank von ungewaschener Wäsche und schimmeligen Geschirr drang ihr an die Nase, von vegetierendem Abfall und vermutlich Schlimmeren. „Du könntest mal putzen.“, murmelte sie, während sie den Jüngeren einließ, der die Nase kraus zog, den Kopf schüttelte. „Bin ich 'ne Frau?“ Womp! Ein Schlag gegen den Hinterkopf. „Ey!“, beschwerte er sich, doch der Blick seiner Schwester war so stechend- da blieb man lieber friedlich- zumal er seiner Mutter garantiert nicht erklären wollte, wieso sie ihn nach Hause bringen musste. „Neeee, das ist doch ihre Aufgabe.“, versuchte er einen neuen Ansatz. „Sie kann es nicht... bah! Das ist so widerlich... was stirbt hier grad?“ Die Antwort kam in Form eines Schulterzuckens. „Besorg' eine Mülltüte. Bevor ich gehe, räumen wir hier noch was auf.“ Er brummte missmutig, sagte aber nichts. „Bewegung!“ Sie seufzte. „Verdammt noch mal.. ich wollte nie wieder her.“ Nie wieder... aber sie tat es dennoch ständig. Das kam davon wenn man es inflationär gebrauchte...

„Ah. Fräulein Schwartz. Lang ist es her.“ Mit einem aufgesetzten Lächeln betrat Josephine das Büro, hob grüßend die Hand- überlegte es sich noch einmal und reichte sie dem Mann am Schreibtisch. „Guten Tag, Felix.“ Sie seufzte. „Nicht lang genug.“ Ihr Blick glitt von dem Polizisten zu dem Jungen, der mit ausgestreckten Beinen im Stuhl fletzte, den Schirm der Käppi nach hinten gedreht. Die junge Studentin streckte die Hand aus, riss ihm diese vom Kopf und warf sie ihm in den Schoß. Das verschmitzte Grinsen in seinem Gesicht könnte sie fast ärgern- dazu verleiten einmal kräftig reinzuschlagen, wenn sie nicht andere Probleme hätte. „Sie kommen direkt von der Arbeit?“ Sie nickte leicht. „Und wie läuft es?“ Sie wog den Kopf. „Viel Betrieb, aber der Rubel rollt.“ Der Polizist nickte. „Also was hat er wieder angestellt?“, fragte Josephine und lauschte den Ausführungen des älteren Mannes. Das Übliche folgte. Belehrungen und Erläuterungen der möglichen Folgen- doch endlich durften sie gehen. "Ich bringe dich nach Hause.", sagte sie, bereute es zwar bereits, doch vielleicht ließ er sich unterwegs noch einmal ins Gewissen reden. Und noch während der Junge Atem holte- sie kannte das Gesicht, dass er gerade aufsetzte- fuhr sie ihm über den Mund: „Spar dir das 'Nie Wieder!' und machs einfach nicht- hab' ich mehr von!“ Es war ohnehin ein leeres Versprechen: Nie wieder!

"Wahnsinn ist nur ein sicheres Zeichen dafür, dass die Seele ein tieferes Verständnis für unsere Welt entwickelt hat."
(Harlekeen)

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Josephine Schwartz
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