Juni - Stolperstein (offen)

[Ashina]

Heute Nacht...laufe ich sie ab, die Stolpersteine. Leipzigs Stolpersteine alle auf meinem Weg heute Nacht...in goldener Kälte eingelassen hier und da...in Gemäuern und eingewoben, wie kleine fehl geknüpfte Maschen, zwischen die Kopfsteinpflaster...mit eingeprägter Schrift...hier wohnte...Name...deportiert, ermordet, diffamiert, erniedrigt, gedemütigt...Jahreszahlen.

Es sind viele...sehr viele und doch nur ein Bruchteil. Und mich...mich interessieren die Jungen. Die kurzen Lebensspannen...der frühe gewaltsame Tot. Merkwürdig...oder auch bezeichnend, das die Stadt voll ist von diesen Stolpersteinen...immer mehr werden sie, nach und nach von Paten und Vereinen finanziert...und doch so...unsichtbar verweilen sie....still...wie ein kaltes Lächeln.

Ich stehe da...zwischen meinen Füßen das goldene Quadrat auf das ich herab sehe...stehe da mitten in Leipzig und pausiere...in mir dieses Gold...Stolpersteine über die man hinweg läuft...ohne stolpern. Wer weiß...

[Ísa MánisDóttir]

Tipp.
Rechts neben mir.
Da war doch etwas.
Tapp.
Auf meiner Schulter.
Angenehm kühl auf der Haut.
Tipp-Tapp.
Noch mehr davon.
Dunkle Flecken auf dem Asphalt.

Eigentlich hatte man ihn schon riechen können, wenn man darauf geachtet hatte. Jetzt konnte man ihn hören. Erst leise vereinzelt, dann stärker werdend und deutlich ins Bewusstsein drängend, wenn auch nicht wirklich stark. Eher zarte Tropfen versuchten den Staub des Alltags abzuwaschen und man hatte die Wahl, ob man dem Regen Beachtung schenkte.

Ísa war bei Einsetzen der ersten Tropfen stehen geblieben, hatte die Augen geschlossen, die Arme ausgestreckt und die Handinnenflächen nach außen gedreht, sodass auch die empfindlichen Innenseiten der Unterarme die Tropfen genießen durften. Das Gesicht reckte sie gen Himmel und empfing das angenehm kühle Nass, welches sich aus den Wolken auf ihr weißes Haar ergoss und ihr Leinenkleid küsste. Ihre nackten Zehen strichen spielerisch über die von der Sonne noch aufgewärmte Straße.
So sah man es tags maches Mal bei Kindern, die sich sicherlich bereits freuten, in absehbarer Zeit durch die Pfützen springen zu können. Allerdings eher an einem anderen Ort, denn die Mondtochter war gerade dabei gewesen, eine Straße zu überqueren und stand nun mitten auf der Straße, auf der seitwärts an ihr hupende Autos vorüberfuhren. Ísa allerdings schien das nicht zu stören ...

[Ashina]

Es...tropft auf mein Stolperstein. Ein helles kleines Rund, das das Gold sacht im faden Licht der Straßenlaternen aufglimmen lässt. Da auf einen der Buchstaben getupft...hat sich hingesetzt, darauf eingerollt und zittert leicht...das Licht darauf zittert....der Regentropfen zittert...wollen nicht, als wollten sie nicht da sein, da auf diesem Gold.

Das E...verzerrt durch diesen einen Topfen...zerbeult, sich aus der Prägung hebend...erinnert es mich an Finger, die sich aus dem Gold mir entgegen recken...komm, halt mich...ich werde dir alles verraten...alles was du wissen sollst und nicht willst. Ich blinzel kurz, der Regen schon längst in meinem Haar, auf meinen Schultern in das Schwarz des Kleides gesickert...ein warmer regen, der den Geruch des Sommers in sich führt...und waschen will...alles rein waschen. Welch ein stolzes Unterfangen.

Ich will weiter...gehen, weiter meine Stolpersteine abgehen, es sind viele...so viele, alle auf Leipzig gestreut...und so unbeachtet. Ironie? Nein...Wahrheit. Jetzt...in dieser Wahrheit, höre ich das Hupen der Autos hinter mir und drehe mich um und mein Blick, das dunkle Braun, fängt sich sofort auf den hellen Tönen des gewesenen Mädchens. Isa...steht da, so mitten auf der Straße...das helle Leinenkleid um die dünne Gestallt, die langen weißen Haare nass sie umfließend, die dünnen Arme ausgebreitet, die krankhaft blassen Haut gen Himmel gereckt...barfuß...irgendwo...irgendwann...träumend, verloren...und die Autos, die um sie herum fahren müssen...hupend...und die Menschen darin den Kopf schüttelnd.

Mein Blick verengt sich, als ich von eben dort aus wo ich stehe dieses Bild betrachte und meine Lippen regen sich kaum, als ich den Namen forme... "Isa..."
Ein Rufen ist es, nachdrücklich...doch nicht laut, sicherlich nicht knallend und klar, absolut klar. Die Stimme so bemessen, das sie sich zu ihr tragen wird...zumindest dahin, wo sie mit dem Körper des gewesenen Mädchens steht.

[Ísa MánisDóttir]

Ja, in solch einer Situation konnte man aufschrecken, wie aus einem Traum. Oder aber, vielleicht wie ein Junkie, durch den dichten Nebel, in dem das Hirn liegt, gedämpft hören, was in der Realität geschah. Sie hörte ihren Namen und drehte erst ganz langsam den Kopf in die Richtung, aus der das wohlbekannte Wort geflogen kam. Erst dann schienen sich unter großer Anstrengung die Augenlider zu heben, als schafften es die Lider kaum. Sogar die Augenbrauen schienen Unterstützung leisten zu müssen, denn sie wurden ebenfalls nach oben gezogen. Als die Gletscheraugen zum Vorschein kamen, war nicht auszumachen, ob sie die Brujah ansahen oder vielleicht durch sie hindurch. Die Arme sanken hinunter und die Handinnenflächen legten sich an das feuchte Kleid, während sich der Kopf der Mondtochter zur Seite neigte, als benötige sie einen anderen Blickwinkel auf die Frau dort. Urplötzlich wurde Ísas Blick seltsam klar und ein leichtes Lächeln bildete sich auf den blassen Lippen. Wie ein kleines Kind, dass einen Bekannten erblickt hatte, sprang sie los und es sah beinahe so aus, als hüpfte sie erfreut auf Ashina zu. Wieder hatte sie den Autos um sich herum keine Beachtung geschenkt - auch das Quietschen der Reifen des einen Wagens, der stark bremsen musste, als sie lossprang, änderte daran nichts. Nur einen Meter von der Brujah entfernt kam die Malkavianerin zum Stehen und strahlte diese freudig an. "Ja?!" klang das Stimmchen dann wie bei einem braven Kind, das man gerade gerufen hatte. So oder ähnlich war es ja auch gewesen, oder?!

[Ashina]

Ich sehe sie, sehe mir an was sie...was sie da tut, was sie anrichtet...ja...wir sind alle anders.
Dann begleitet mein Blick ihre weiteren Bewegungen, die Energie, die in sie kehrt, in ihren dünnen Leib, in ihre blasse Haut, in die Leiche, die bewegte Leiche sickert...sichtbar...barfuß...Und etwas nur kauen meine Kiefern die Luft.
Dann steht sie vor mir und ich atme....atme durch bevor meine Lippen sich mit den Worten regen.

"Du solltest jetzt nach Hause gehen. Den Gehweg benutzend. Für heute Nacht ist es genug Isa."

Ein Vorschlag so in der schwingenden Melodie ihrer Stimme, ihrer Art der Formung dieser Sprache verwoben...davon fliegend ohne Nachdruck.

"Ich begleite dich ein Stück und du kannst mir erzählen, was du geträumt hast..wenn du das willst."

[Ísa MánisDóttir]

Unverständig und zu Unrecht ermahnt blicken die traurig-wütenden Augen der Kleinen zu der fremden Frau nach oben. "Du bist nicht meine Mama!" schreit die vorgeschobene Unterlippe des Mädchens, die fast bebend die scheinbar aufsteigen wollenden Tränen zurückdrängt. "Du hast mir gar nicht zu sagen!"
Der anschwellende Regen hat das weiße Haar durchtränkt und auch der Stoff der Kleidchens hat sich vollgesogen. Man sollte sie vielleicht wirklich nach Hause bringen, damit sie sich nicht erkältet?
Das eventuelle Friedensangebot nach einer kurzen Pause scheint die Isländerin aber nicht milde zu stimmen. Sie drückt die Schultern hinunter und am Ende der steifen Ärmchen bilden die Hände kleine Fäustchen. Irgendwie müssen Kinder sich Halt verschaffen - so etwas hat man schon einmal gesehen.
Schwungvoll und vor Trotz sprühend dreht Ísa sich herum, sodass das lange weiße Haar Ashina streifen könnte. Mit fest stampfenden kleinen Schritten entfernt sie sich von der Brujah.
Noch einmal dreht die Malkavianerin sich um und all der Groll scheint verflogen. Die AquamarinAugen leuchten nur voller Traurigkeit zurück an den Ort, an dem man sie verletzt hat. "Du bist Schuld." könnten sie sagen.

"when it rains
when it rains
when it rains
the river runs so deep
in the rain
in the rain
in the rain
I weep"