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Menschlichkeit


Menschlichkeit

Postby Marcel » 29 Sep 2013, 10:59

Menschlichkeit

Im ersten Moment wird mit dem Begriff Menschlichkeit all das in Verbindung gebracht, was generell mitfühlende Aspekte in sich birgt.

Humanität, Mitgefühl und Nächstenliebe.

Dieses ist aber nur ein Teil des Konzepts, das seinen Anklang findet bei Vampire. Denn eben der Aspekt des „Menschlichseins“ gehört ebenfalls dazu.

Menschlich zu sein, das aber an sich hat nicht unbedingt was damit zu tun, eben auch ein guter Mensch sein. Um einfach mal banale Sprüche aufzuzählen, Irren ist menschlich und die Eifersucht auch.

Gerade wenn wir es mit Vampiren zu tun haben, müssen wir uns um diesen Begriff der Menschlichkeit tiefergehend Gedanken machen. Ein Vampir kämpft aus einem einzigen Grund um seine Menschlichkeit, weil er sie verlieren kann. Er ist kein Mensch mehr.

In der menschlichen Natur liegen auch alle Abartigkeiten und Bösartigkeiten. Von einfach nur dem wegschauen hin zu sadistischen Massenmördern, all dies liegt im Bereich des Möglichen. Gleich, was ein Mensch tut, er bleibt ein Mensch. Sicherlich, andere mögen in ihm nur noch das Monster sehen, aber das ist bereits eine Beurteilung einer anderen Art. Er bleibt Mensch. Homo sapiens. Punkt.

Ein Vampir hingegen hat eine andere Natur angenommen. Er ist zwiegespalten, zwischen all dem, was seine Persönlichkeit ausmacht, seine Erfahrungen und Erlebnisse als Mensch, seine Gedanken, Gefühle, Ideale, Träume und Ängste. Alles, was ihn ausmacht, all diese scheint im ersten Moment erhalten geblieben. Nur ist er nicht mehr das gleiche Wesen. Das Blut hat ihn verändert und zu einem Kainiten werden lassen.

Ein Teil von ihm, eben der instinktive, unterbewußte, triebhafte, dieser ist jetzt kainitischer Natur. Ein Raubtier, das an sich nichts menschliches mehr sein eigen nennt.

Auch ein Mensch hat diesen Teil, er ist maßgeblich an vielmehr Handlungen und Reaktionen im Alltag beteiligt als die meisten Menschen sich gerne eingestehen möchten. Wenn dieses Teil auf einmal ausgetauscht wird und andere Triebfedern vorherschen, wieviel von dem, was er einmal war, bleibt noch erhalten?

Wir sind nicht nur Verstand und Erinnerungen, das tierhafte ist auch im Menschen eines der prägensten Elemente überhaupt. Eben in diesem liegen unsere Gefühle und viele von unseren Sehnsüchten.

Auch unsere Bedürfnise sind andere. Hunger, Durst, Fortpflanzung, soziale Zugehörigkeit. Vier an sich auf den ersten Blick so banale Dinge, aber in diesen liegen die meisten unserer zwischenmenschlichen Verhaltensweisen begraben. Hunger und Durst mögen in den westlichen Industrienationen nicht mehr so stark die Rolle spielen im gesellschaftlichen Kontext wie in anderen Ländern oder zu anderen Zeiten. Der Drang nach Sex und der Wunsch nach Zugehörigkeit (der Mensch ist kein Einzelgänger, im Gegenteil, er wird verrückt dabei) hingegen spielt bei jeder Begegnung mit eine Rolle.

Wenn man sich diese Dinge durch den Kopf gehen läßt, wie sehr wird es einen dann verändern trotz aller Erfahrungen und Erinnerungen, wenn alle diese Bedürfnisse sich gewandelt haben und mehr noch, diese neuen Instinkte sind stärker als alles davor gekannte.

Hunger und Durst ist in einer neuen Form der Gier vereinigt, nur als Hunger bezeichnet, der durch menschliches Blut gestillt werden kann. Gestillt bedeutet aber nicht, dass man jemals satt ist. Er nagt immer in einem, an einem. Vor allem und das ist wohl das Erschreckenste daran, ist es mehr als nur ein Hunger nach ein wenig Proteinen in Wasser gelößt. Es ist dieser eine einzigartige Bestandteil, der nur Menschen zu eigen ist, der einen Kainiten wirklich zu sättigen vermag. Tierblut alleine läßt einen Kainiten durchdrehen mit der Zeit. In einer rationalen Welt mag es albern erscheinen, aber nicht in einer, in der Kainiten existieren. Es ist die Seele des Menschen, von der er sich ebenso nährt und die in der Essenz selbst, in dem Blut, zu finden ist.

Wie krank muß es sich anfühlen einmal Mensch gewesen zu sein und jetzt das zu erleben?

Vor allem ist da noch mehr. Etwas in einem, das man eigentlich doch selbst geworden ist, das Tier. Der bewußte Wille hält es unter Kontrolle, aber es ist ein stetiger Kampf. Gewissermaßen könnte man es als den Kampf mit dem eigenen Unterbewußtsein ansehen, nur das bei einem Menschen nicht die Gefahr besteht, das dieses Ding in einem beginnt vollkommen die Kontrolle zu übernehmen.

Das Tier ist noch mehr auf Überleben bedacht als es die zwar vorhandenen, aber für den Erhaltungstrieb doch verkümmerten Instinkte der modernen Menschen sind. Es kann alleine agieren, es drängt einen und bestimmt all diese unterbewußten Strömungen, die Bedürfnisse und Sehnsüchte darstellen.

Der Teil in einem, der einmal Mensch gewesen ist, mag sich einsam fühlen, doch das neue Tier, das man jetzt darstellt, ist ein Raubtier durch und durch und dazu noch ein Einzelgänger. Alleine die Gegenward von anderen, stärkeren Raubtieren läßt das Tier in einem sich anspannen, denn es erkennt und spürt die Gefahr. Nur wenn der menschliche Part noch sehr stark in einem ist, kann er dies Unwohlsein unterdrücken oder aktiv verdrängen. Wenn Menschen eines sind, dann Meister der Einbildung und Selbstlüge. Am Anfang mag sich dieses noch sehr stark auch in die neue Existenz rüberretten.

Nur überdauern sollte es nicht, es wäre der schnellste Weg nicht zu überleben.

Der Drang danach Macht zu erhalten und nach dieser zu streben gehört auch zu einem sehr instinktiven Wesenszug eines Kainiten. Es geht nicht um die Macht an sich, sondern im Grunde nur darum zu überleben in einer Welt, die voll von größeren Raubtieren ist.

Der Kampf, der in dem eigenen Inneren aus diesen zwei verschiedenen Erfahrungswelten und im Grunde auch Wesenswelten, denn einst war man Mensch, jetzt ist man eine andere Kreatur, ergibt, ist tatsächlich bitter und böse und durch und durch tragisch. Denn es ist ein Kampf, den der Rest Mensch in einem verlieren wird. Wenn nichts mehr von den einstigen Sehnsüchten bleibt, wenn andere Werte an Gewicht gewinnen und Notwendigkeiten einer neuen Existenz von Grausig zu Normalität sich verändern, dann kann der bewußte Teil daran zerbrechen.

Es gibt einen Grund, warum soviele junge Kainiten zu finden sind und ab einer gewissen Altersgrenze auf einmal Kainiten rarer gesät sind. Die wenigsten überstehen die Grenze, wenn ein menschliches Leben „gelebt“ wurde. Denn nach diesem muß man sich selbst neu definieren, seine Vorstellungen, seine Ziele, alles einfach. Aber was bleibt einem dann noch? Die Kainiten, die diese Zeit überdauern, haben gelernt sich in der neuen Welt zurecht zu finden und auch ihre Beweggründe neu zu definieren. Dieser Prozeß kostet einiges an Menschlichkeit (in diesem Sinne wirklich ein Teil des Mensch seins).

Um zu Überleben müssen Regeln gefunden werden. Die wenigsten der jungen Kainiten hat verstanden, daß eigentlich Camarilla oder Sabbat gewissermaßen austauschbar sind. Es geht vor allem darum Systeme zu finden, in denen das Miteinander von Raubtieren ermöglicht wird. Es ist tatsächlich eine einfache Frage des Überlebens. Die Camarilla definiert sich in ihrer Form und Funktion, in ihrem Rahmen und Grenzen vor allem durch ihre Gesellschaft. Genau das ist der Grund, warum jeder ältere Kainit der Camarilla diese mit allen Mitteln und aller Macht schützt. Die Traditionen gab es lange vor der Gründung der Sekten, aber die Camarilla an sich ist eine Schutzfunktion. Vor den Menschen und den einen umgebenden Kainiten gleichermaßen.

Sie ist nicht fair, nicht gerecht, die Existenz eines einzelnen Kainiten ist nichts wert und das Leben eines Menschen noch weniger, freie Meinungsäußerung eine Illusion und selbst Gedanken sind nicht mehr wirklich frei. Die Camarilla ist kein nettes und im Grunde auch kein menschliches System. Sie ist totalitär und muß es auch sein. Überleben heißt die oberste Priorität.

Ein wunderbares Beispiel ist es, wenn ein Neugeborener in aller Öffentlich einen Ahn des Traditionsbruches beschuldigt. Es ist in diesem Augenblick unwichtig, ob er Recht hat oder nicht. Durch die Tatsache, daß er öffentlich den Status ignoriert und es wagt, jemand so über ihm Stehendes vor allen zu brüskieren, gefährdet er das System und wird zum störenden Faktor. Er wird bestraft werden, nicht der Ahn. Für sein Mangel an Verständnis und auch gewissermaßen für seinen Mangel an Erhaltungstrieb. Um in der Camarilla vorzugehen, hätte er dies Wissen an die richtigen Personen weiterleiten sollen, die damit etwas bewegen können und das hinter verschlossenen Türen.

Die Maskerade ist eine der wichtigsten Regeln zum Überleben, auch wenn diese Tradition vor der Camarilla bereits existiert hat, ist die Sekte das perfekte Mittel es nicht nur lokal sondern weltweit durchzusetzen. Einzelne Menschen oder die Befindlichkeiten einzelner Kainiten sind unwichtig dagegen. Wenn alleine die Gefahr besteht ein Mensch könnte etwas gesehen haben, dann ist das Eliminieren jeglicher Bedrohung, in diesem Sinne des Menschens, unabwendbar. Es ist schnell und direkt und bietet die größtmögliche Sicherheit.

Junge Kainiten würden angesichts der wahrhaftigen Kälte der Camarilla das Grausen bekommen und nach außen hin wird meist das „nette“ Gewand getragen, mehr oder weniger. Aber mit dem Vergehen der Jahrzehnte oder auch Jahrhunderte wird die Wichtigkeit dahinter erkannt werden und der Selbsterhaltungstrieb wird fast automatisch sich dem anpassen.

Wie aber geht man innerlich mit diesem moralischen Dilemma um? Man schaut zuerst weg, vedrängt und versucht zu vergessen. Es wird mit aller Macht an der Illusion des Mitgefühls festgehalten. Wie menschlich sind wir alle denn im Alltag? An wievielen Bettlern und halbtoten Junkies gehen wir tagtäglich vorbei? Kümmern wir uns persönlich um das Schicksal jedes Einzelnen? Schließlich haben wir sie doch gesehen und sind vorbeigegangen! Es geht unter in einem grauen Schleier, wir verdrängen so gut, dass wir doch meist im Alltag das Elend nicht einmal mehr wahrnehmen. So bitter es klingt, es ist auch eine Form des Überlebens nicht für jeden Menschen, der Hilfe brauchen könnte, diesem die auch zukommen zu lassen. Sagen wir aber einmal, wie kommen nicht einmal zufällig an solchen Menschen vorbei, wir wissen aber doch das sie in jeder Stadt auch in Deutschland existieren. Gehen wir hin und bieten unsere Hilfe an? Immer und immer wieder und nicht nur ab und an vielleicht einmal für unsere Gewisse oder mit ein wenig Almosen? Kaum einer tut das wirklich. Das ist ebenfalls menschlich und auch die wenigsten sind Engel von uns.

Warum also sollte sich das ändern, nur weil man zu einem Kainiten geworden ist? Vielmehr werden die Notwendigkeiten andere und auch die eigenen Vedrängungsmechanismen. Moral und Schuldgefühl sind tatsächlich sehr subjektiv und um nicht zugrunde zu gehen, werden die meisten Kainiten mit der Zeit die Notwendigkeit schnellen und oftmals tödlichen Handelns erkennen und akzeptieren. Die ersten Male mag es hart sein, aber wieviele Soldaten, wieviele Polizisten und andere Personen in solchen Situationen nehmen sich die eigene nagende Schuld, indem sie akzeptieren, daß es Notwendigkeit, Schutz und Notwehr war zu einem größeren Ganzen und zum Wohl aller ihrer eigenen Gesellschaft? Es ist normal, um nicht zu zerbrechen. Der Verlust des Menschlichen in einem Kainiten geht meist schleichend vorhanden und eben dies Akzeptieren und Vedrängen gehört dazu. Die eigenen Moralvorstellungen verschieben sich mehr und mehr. Nur sehr selten hat man diese einschneidenden Erlebnisse, wenn man erkennt, was man wirklich getan hat und zu was man geworden ist. Die Fähigkeit, das er erkennen und daran zu erschrecken, ist ebenfalls noch ein Teil des menschlich seins in einem.

Diese Darstellung ist beiweitem alles andere als harmlos und stellt, wenn man sich diese Ausführungen in Ruhe zu Gemüte führt, nicht einmal im Mindesten eine Minderung der Tragik da. Im Gegenteil, es ist noch erschreckender. Denn es berührt den Kern all dessen, was uns nicht nur in bewußten Gedanken ausmacht, sondern auch alles darunter liegende. Der Mensch, der gestorben ist, der verloren ist.

Alles Menschliche in einem Kainiten ist die Erinnerung.

Und der Drang zu Überleben.
From small beginnings. Come big endings
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