DISCIPLINE | PRECISION | INTEGRITY | GRACE
Es war früh am Abend im beschaulichen Avondale, etwa eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit, als in der Belmont Avenue zwei Männer den roten Ziegelsteinbau mit dem Schriftzug "Redstar Fencing" betraten. Der scheinbar jüngere der beiden trug einen grauen Kaschmirmantel, der sich passgenau der Form seines schlanken Körperbaus fügte. Der vermeintlich ältere, stämmigere Mann war deutlich legerer gekleidet: Jeans, eine dunkle Lederjacke und Stiefel wurden abgerundet von einem dunkelblauen Basecap auf dem kahlen Schädel.
Sie verschwanden in die Umkleideräume und wenig später war die so unterschiedliche Kleidung der Uniformität der gepolsterten weißen Fechtkleidung samt Handschuhen und Fechtmaske gewichen. Außer einer Fechtlehrerin, die gerade eine Gruppe junger angehender Akademiker in den Grundzügen des Fechtens mit dem Florett unterwies, war der Fechtsaal leer.
Im Plauderton unterhielten sich die beiden eben eingetretenen Männer über den Fall Ethan Rovers, dessen Trunkenheitsfahrt vier Menschen das Leben kostete und weitere verletzte. Gerade beendete der jüngere, dunkelgelockte einen Satz. "...vier Leben ausgelöscht und dann eine simple Bewährungsstrafe. Solch offensichtliche Ungleichheit vor dem Gesetz führt unweigerlich zu... Unfrieden." Die durchaus gewollte Mehrdeutigkeit hing jedoch nur einen Moment in der dem Fechtsaal eigenen Luft, ehe der Glatzkopf spöttisch erwiderte: "Und was wollen Sie dagegen tun Elias? Ihn zur Rechenschaft ziehen?" Elias, dem der Tonfall des anderen missfiel, bedachte diesen mit einem kalten Blick, der eher nahelegte dass die beiden darüber noch sprechen würden. Später.
Doch dann klarte sein Ausdruck auf und Elias lächelte den kahlen Mann geheimnisvoll an, während er zwei Fechtsäbel aus einer Halterung nahm."Vielleicht wird jemand genau das tun Mark." sagte er und warf ihm einen der Säbel zu, den dieser gekonnt fing und widerwillig schnaubte.
Beide zogen die Fechtmasken vors Gesicht, grüßten und gingen in Position.
Auf Stöße und Hiebe folgten Ausfallschritte, Paraden und Riposten. Beide Kontrahenten waren etwa gleich groß und schnell, verfügten über ähnliche Reichweite und Finesse. Der stämmigere, Mark, war technisch etwas besser, was in einem echten Kampf zusammen mit seiner größeren Stärke, zum Sieg geführt hätte, jedoch glich Elias dies durch gewandtere Bewegungen und den totalen Mangel an Erschöpfung aus. Er hatte somit ein paar mehr Treffer kassiert, doch es war der Kahlköpfige der schließlich außer Atem war und sich zurückzog um etwas zu trinken.
Mittlerweile war eine weitere Gruppe Hobbyfechter und Enthusiasten in den Saal gekommen und bildeten mit den bereits Anwesenden neue Paarungen. Alle fochten, außer Elias' kahlköpfigen Begleiter, der mittlerweile in ein, möglicherweise mehr als nur professionelles, Gespräch mit der Fechtlehrerin nahe der Tür zu den Umkleiden vertieft war und Elias selbst. Dieser stand nahe eines Fensters, die Fechtmasken unter den linken Arm geklemmt, die Rechte hielt den Säbel knapp oberhalb des Korbs locker fest. Still in die Chicagoer Nacht hinausblickend gedachte er der verschwundenen Miss Dhampierre, oder vielmehr Winter. Ihre Begegnung hier mochte nun gute anderthalb Jahre her sein. Was mochte wohl aus ihr geworden sein? Die damalige Fahrt mit ihrer Limousine wäre um Haaresbreite zu einer blutigen Auseinandersetzung eskaliert. Vielleicht hatte sie ihre Art die Dinge anzugehen bei einem weniger diplomatischen Geist versucht?
Müßig darüber nachzudenken fokussierte der schlanke junge Mann einen fernen Punkt in der Finsternis der Nacht und wandte seine Gedanken dem jungen Ethan Rovers zu...