"Die Normalität ist eine gepflasterte Straße; man kann gut darauf gehen - doch es wachsen keine Blumen auf ihr."
Vincent van Gogh
Ich bin Künstler. Sage ich und lächle dabei leicht. Wem ich das erzähle? Natürlich dir du Dummerchen, ich führe ja keine Selbstgespräche, ich bin schließlich kein Verrückter. Obwohl ich Doktor der Psychologie bin. Kurz schweige ich, um den kleinen Witz etwas wirken zu lassen, bevor ich noch anfüge. Der Seelenkunde. Es klingt so schön. Darum sage ich es. Wie ich schon erwähnte, ich bin aber auch ein Künstler und ich mag schöne Dinge. Ob meine Kunst menschliche Hirne in einem Glas sind? Nein, meine Kunst ist die gewaltige Pracht der Farben von Emotionen und um diesen Reichtum an Farben in meinen Kunstwerken zur Vollendung zu bringen bedarf es einiger Vorbereitung.
Wer ich bin? Das geht dich in Zeiten wie diesen nichts an. Aber vielleicht kennt man mich noch aus einer der Großstädte von Amerika? Oder aus Deutschland, Hamburg zum Beispiel, oder von den Geschichten einer Gangrel aus Leipzig? Nein? Nun umso besser, dann bist du gänzlich frei in deiner Meinung. Ich lächle leicht und lehne mich in meinem bequemen Ohrensessel zurück. Ich liebe dieses Möbelstück, es ist einfach perfekt, als wäre er nur für meine Person hergestellt worden. Ach ja… wurde er ja auch … jetzt bin ich das Dummerchen.
Also, ich bin Künstler und mit meiner Kunst geht eine Menge Vorbereitung einher. Genau wie bei meinem jetzigen Kunstwerk. Es hat mich Jahre gekostet. Ich möchte, dass du mich begleitest und es dir anschaust, die Perfektion der von Emotionen aufgeladenen Farben einer Aura. Alles beginnt damit eine Leinwand zu finden. In diesem Fall ist es Anna. Ja, Anna ist meine Leinwand. Schau, dieses dickliche Mädchen, Achtzehn Jahre alt, schon immer etwas unattraktiv und mit kurzen Haaren. Ich sehe in deinem Blick, wie du sie bereits abstempelst, dir ein Vorurteil bildest.
Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem Grinsen als du leicht ertappt in mein Gesicht siehst … herrlich … das leichte Aufflackern der Farbe unter deiner oberflächlich zur Schau getragenen Ruhe. Kurz merke ich wie die Verzückung mich droht davon zu treiben … zurück … zur Kunst. Anna ist die perfekte Leinwand. Die Verhältnisse in denen sie aufgewachsen ist, beschreibt man am besten mit desaströs, weit weg von der Normalität anderer Kinder. Ihr Vater ist ein Trinker, einer der Sorte die betrunken gewalttätig werden und eigentlich ist er immer betrunken. Die Mutter ist eine Frau mit vielen Liebhabern und sie nahm Anna immer häufiger mit zu ihnen. Es folgten Trennungen und Versöhnungen der Eltern, Umzüge, Schulwechsel … meine Bild nahm Gestalt an.
Leider wurde die Behörde aktiv und Anna kam in ein Pflegeheim, sie veränderte sich, mein Bild veränderte sich. Es kann einen Künstler schon in die Verzweiflung treiben, wenn das gewünschte ausbleibt. Es dauerte ein weiteres Jahr, bis ich die passende Pflegemutter gefunden hatte und Anna sich wieder in die von mir gewollte Richtung entwickelte. In der Schule wurde die schon seit ihrer Kindheit dicke Anna fleißig gehänselt und es fehlte ihr an allem, was einen Menschen mit Halt im Leben erfüllt. Elterliche Liebe, Zuneigung, Freundschaften und Fürsorge. Das alleine macht noch kein Kunstwerk, es sei den man erfreut sich an der Farbe einer Depression. Ich zucke leicht mit den Schultern. Also brachte ich April mit ins Spiel.
April ist eine Schulfreundin von Anna und sie ist das genaue Gegenteil von ihr. Anna fast 1,80 Meter groß, um die 150 Kilogramm schwer, ungepflegt und kurze Haare auf der einen Seite und April mit ihren knapp 1,60, zart, hübsch und aus gefestigten Verhältnissen auf der anderen. April und Anna verliebten sich, natürlich half ich etwas nach. Aber es klappte, seit einem Jahr waren sie also jetzt schon ein Paar und Anna erfährt das erste Mal in ihrem Leben Liebe und Zuneigung. Nein nein, du musst dich gedulden! Auch jetzt ist das Bild noch nicht vollendet. Happy end und so … ich gebe einen abwertenden Laut von mir. Die Farbe wahrer Liebe kann schon kräftig und die daraus resultierende Emotion gewaltig sein, aber bist du wirklich so leicht zufrieden zu stellen?
Mein Lächeln verschiebt sich zu einem Grinsen. Ich begann also April das klassische Bild in den Kopf zu pflanzen. Ein Eigenheim, mit Hund, Kindern, Garten und … einen Mann. Ein Lebensmodel in dem kein Platz für Anna ist und die Trennung fand natürlich … Tadaaa … am Valentinstag statt. Ich erwarte natürlich … nicht… dass du wegen dieser kleinen Teufelei in tosenden Beifall ausbrichst … für so ein leichtes Gemüt halte ich dich nicht. Es geht immer noch ein bisschen mehr. Anna ist also am Boden zerstört, darüber helfen auch Aprils Bemühungen nicht hinweg noch Freundinnen zu bleiben.
Jetzt erst sind wir im finalen Akt.
Anna befindet sich in einer ausweglosen Situation und es ist ein leichtes für mich sie dort zu halten, ihr Gedanken ins Ohr zu flüstern, für die sie so empfänglich ist. Ja, aus wahrer Liebe entwickelt es sich … der Hass, die Wut, der Zorn … resultierend daraus erneut zurück gewiesen worden zu sein… Wir folgen Anna durch die Nacht, wie zwei unsichtbare Schatten in der Dunkelheit und die Gedanken in Annas Kopf sind für mich so klar. Durch den Nebel des Alkohols ziehe ich die Gefühle und Emotionen nach vorne, die ich will, wie ich sie will … hier noch ein klein wenig mehr und davon ein bisschen. Ich bin ganz in meinem Element, mein Kunstwerk neigt sich der Vollendung. Ich bin nun nicht mehr nur die kleine Stimme auf Annas Schulter, die ihr Dinge in ihr Ohr flüstert … nein, ich bin direkt in ihrem Kopf…
Ja, der Alkohol ist schon gut Anna. Er macht dich noch zugänglicher mir gegenüber. Nimm noch ein wenig mehr. Sie hat dich böswillig verlassen und hat selber Schuld was nun passieren wird. Anna, vergiss das Küchenmesser nicht. Hörst du… steck es in deine Tasche… ja, so ist es gut. Braves Mädchen. Der Schmerz den sie dir zugefügt hat, so ungerecht, alte Wunden hat sie wieder aufgerissen. Ein Mann will sie und Kinder. Du bist nicht gut genug für ihre Vorstellung von einem gefestigten Leben. Nicht gut genug Anna. Du warst nie gut genug. Sie soll leiden wie du leidest ... und danach, danach wird alles wieder ... normal ... Anna umklammert den Messergriff so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß werden. April ist unser Ziel … wer auch sonst? Wir haben eingeladen, gelockt der alten Zeiten wegen … wie eine Freundin … ja.
Es dauert … eine Stunde lang, eine Stunde in der April immer wieder um ihr Leben fleht, aber Anna einfach immer weiter macht. Eine Stunde, 53 Messerstiche, unzählige Tritte und Schläge, Würgemale sowie Hämatome später … so viele unterschiedliche Emotionen … die Farben der beiden sind jetzt schon grandios, wie sie tanzen und verschwimmen … aber das Beste, das kommt immer zum Schluss ... Mit dem letzten Röcheln aus Aprils Lunge, dem Blut welches aus ihrer Nase läuft, ihre verdrehten Augen, da reift die Erkenntnis in Anna und mein Bild … mein Kunstwerk vollendet sich … Anna lässt die blutverklebte Klinge fallen und Tränen rinnen über ihre vor Anstrengung geröteten Wangen. In ihrem Kopf wo eben noch der Zorn und die Wut die Herrschaft hatten, versteht sie nun, dass sie es selber war, die durch ihre Tat sich den einzigen Menschen beraubt hat, den sie niemals verlieren wollte … der sie jemals wirklich geliebt hat …