[Juni 2015] Home, sweet home.


[Juni 2015] Home, sweet home.

Postby Othello » 09 Jul 2015, 23:55

Vor langer Zeit ....

... in einer der vielen dunklen Ecken Dimašqs.


Er sah kaum etwas.
Zum Teil lag das daran, dass beide Augen geschwollen waren, weil sein Gegner so freundlich war, sie mit seinem Schlagring zu streicheln. Um überhaupt etwas zu sehen, musste er den Kopf weit in den Nacken legen. Da er gleichzeitig versuchte, sich möglichst elegant von einem Bein aufs andere zu wechseln und währenddessen bei jeder noch so kleinen Bewegung um ihn herum schützend einen Arm hochnahm, war kaum damit zu rechnen, dass man ihn ernst nahm. Spätestens als er sich zum dritten Mal vor seinem eigenen Schatten erschrocken hatte, brachen die Männer in Muskelshirts und zerschlissenen Jeans um die Arena herum in Gelächter aus.

Es war eine der kleineren Anlagen, im Hinterhof eines Imbissladens gelegen, das von einem Cousin des Veranstalters geführt wurde. Deshalb ließ er ihn seine kleinen Fighting Pits da veranstalten und verpfeifte ihn nicht an die Behörden. Der Veranstalter, Louis, war eigentlich Ägypter, aber aus irgendeinem Grund hatte er einen Fable für die Franzmänner und ihr Land. Er futterte dauernd Baguette, Croissant und soff alles, was rot war und einen französisch klingenden Namen hatte, ein Mal sogar graisse de cochons. Seit jenem Tag trug er immer ein kleines abgewetztes Wörterbuch mit sich herum. Louis, der eigentlich Ahmed hieß, war kaum aus der Ruhe zu bringen. Es gab niemanden in Dimašq, der ihn je in Rage gesehen hatte. Sein Gesicht war immer die Ruhe selbst, so glatt wie ein Marmorblock. So war es auch, als der junge Kämpfer den Blick über die Menge schweifen ließ und dabei die Miene seines Bosses ins Blickfeld kam.

Er hatte bereits einige heftige Schläge in die Nieren, in den Rücken und auf den Schädel bekommen und seine Überlebenschancen standen wirklich nicht gut. Aber noch war das Schicksal nicht mit ihm fertig. Alarmglocken schrillten innerhalb seines dröhnenden Schädels und als er sich fallen ließ, spürte er den Lufthauch des gewaltigen Fausthiebs, der ihn direkt an der Schläfe getroffen hätte. Sein Gegner, der im Gegensatz zu ihm bisher kaum hatte einstecken müssen, war einer der Marke 'quadratisch, praktisch, gut'. Kantig und muskulös. Schwer, aber nicht so unbeweglich und langsam wie man denken würde. Trotzdem langsamer als er. Während er in die dünne Sandschicht glitt, nutzte er die Verwirrung seines Gegners dazu, diesem die Beine weg zu treten. Mit einem erstickten, in erster Linie überraschten Schrei, stürzte der Koloss hinten über, ruderte mit den Armen und krachte schließlich gegen den Boden. Behende wie eine Wüstenspringmaus erhob der junge Araber sich. Dieses Mal musste er den Kopf nicht in den Nacken drücken. Er trat dem Liegenden mitten in die Kronjuwelen, als der sich gerade aufrappeln wollte, was zum einen einen markerschütternden Schrei seitens seines Kontrahenten und zum anderen spöttisches Gelächter und mitfühlende Gesichter bei Beobachtern zur Folge hatte (außer natürlich bei Louis, der nicht einmal zuckte). Während sein Gegner sich auf dem Boden krümmte, tänzelte der junge Araber hin und her und rammte dann immer wieder die metallverstärkten Spitzen seiner Stiefel in seine Rippen, in die Nieren und gegen den Kopf, bis der Mann nur noch zusammengekrümmt auf dem Boden lag und der Sand unter ihm sich rot färbte.

Als der Jubel aufbrandete ging der junge Araber an den Rand der Arena, riss eines der Holzschilder vom Geländer und kehrte dann zu seinem besiegten Gegner zurück. Bei einigen der Beobachter, die etwas schneller antizipierten als die anderen, zeigten sich Grimassen des Entsetzens oder der boshaften Vorfreude auf den Gesichtern, während die anderen nur tumb beobachteten, wie der junge Araber mitleidslos den zuckenden Körper seines darniederliegenden Kontrahenten betrachtete und dann das Brett mit dem rostigen Nagel voran in dessen vorderen Schädelbereich rammte und das Zucken zum Erliegen brachte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hob der Araber den Blick und sah geradewegs in das Gesicht von Louis. Und bei Allah, selbst heute genießt er es noch, sich an den Ausdruck des Entsetzens zu erinnern, den er dort sah; Die Gesichtszüge entgleist wie ein Zug nach einem Tornado. Und an die Mischung aus Bewunderung und offener, fassungsloser Furcht, mit der man ihm seit jenem Tag begegnete.

Er hatte immer gedacht, er hätte kein zu Hause mehr.
Dabei war es genau hier.
Im blutroten Sand.

Home. Sweet home.
There is no monster more dangerous than a lack of compassion.
- Master Splinter, Teenage Mutant Ninja Turtles
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Othello
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