[Juli 2015] Im Angesicht des Todes


[Juli 2015] Im Angesicht des Todes

Postby Lou Cifer » 07 Jul 2015, 09:23

All religion,
my friend,
is simply evolved out of fraud,
fear,
greed,
imagination,
and poetry.



Es gibt keinen Fahrstuhl, nicht einmal einen klapprigen alten, welcher mir den Weg hoch in die von der Tageshitze aufgeladene, fünfte Etage hätte erleichtern können. Im Treppenhaus riecht es Übelkeit erregend nach Pisse und Kotze und ein wenig nach nassem Hund. Die modrige, graue Tapete hängt in schmucklosen Fetzen von den feuchten Wänden. Würde ich nach dem wackligen Treppengeländer greifen, dann wäre meine schwielige Hand danach voller kleiner Splitter und als Begleitmusik auf meinem Weg nach oben gibt jede einzelne Stufe knarrend und knarzend unter mir nach. Nur noch ein paar Monate, dann werde ich meine schäbige Ein-Raum-Bude gegen ein richtiges Appartement tauschen. Eines mit Fenstern, die man mühelos öffnen kann und einem Kühlschrank, der funktioniert.

Der Wohnungsschlüssel hat schon immer geklemmt. Heute mehr als sonst, was ich der unsäglichen Hitze zuschreibe, die in einem feuchten Rattenloch wie diesem alles verzieht. Dass meine Hände schweißnass sind, ist keine Hilfe. Mir gegenüber lebt ein Pärchen. Dana und Chris steht auf dem Klingelschild, kein Nachname. Meistens um diese Zeit kann ich das Messinggestell ihres Bettes schon ein paar Etagen weiter unten rhythmisch gegen die Wand hämmern hören. Gesehen habe ich die beiden jedoch schon länger nicht mehr. Und seit drei Wochen ist das Messingbett völlig verstummt. Sind vielleicht ausgezogen, so wie die meisten hier in meinem Haus. Den Schlüssel zu meiner Wohnung haben sie mir allerdings nicht zurückgegeben. Den brauchen sie, um meinen Wellensittich zu füttern. Charlie.

Es ist mein Haus, weil ich hier der Chef bin und nicht, weil mir das Gebäude gehört. Ich hab hier meinen Namen und ich hab hier meinen Ruf. Die alte Frau im ersten Stock verriegelt immer die Tür, wenn ich heimkomme und senkt ängstlich den grauen Blick, wenn sie mich sieht. Ihr Sohn wollte sich mal mit mir anlegen, hat mich ein Jüngelchen genannt und grün hinter den Ohren, wollte, dass ich seiner Mutter endlich keine Kohle mehr abknöpfe. Sagte, ich hätte kein Recht, Miete zu verlangen. Aber dem hab ich’s so richtig gezeigt und seiner Freundin auch. Seither ist Ruhe in meinem Haus und ich kann tun und lassen, was ich will. Das Gesetz kann mir nichts. Sie haben alle viel zu viel Schiss. Und irgendwann, wenn ich mein Appartement mit separatem Bad bezogen habe, will ich das hier alles abfackeln und keine dieser jämmerlichen Kreaturen kann etwas dagegen tun.

Der ewig gleiche Muff meiner Bude schlägt mir entgegen und mein Teppich reißt durch die schabende Wohnungstür noch ein Stück weiter auf. Bis auf meine Stereoanlage und Charlie gibt’s hier wirklich nichts, was gut wäre. Müde bin ich und träge auf den Beinen. Die letzten Schnäpse waren zu viel. Ich lehne mich erst einmal rücklings gegen die Tür, das muss ich eh machen, um sie ganz zurück ins Schloss zu schieben und danach lächle ich still vor mich hin. Die Nacht hat richtig was eingebracht. Meine Kumpels und ich haben ein paar richtig gute Sachen erbeutet und davon ist ne beachtliche Menge Bargeld. Was die anderen beiden damit anstellen, interessiert mich nicht. Ich habe meine eigenen Pläne. Ich bin klug und denke an die Zukunft.

Links von mir stapelt sich das Geschirr einer Woche in der Spüle und nicht abgedeckte Essensreste ziehen die Fruchtfliegen und Kakerlaken an. Ich werde mich noch ein paar Tage lang von Fast-Food ernähren und dann vielleicht mal wieder spülen. Vorher aber muss ich mal wieder ordentlich pennen. Die letzten Nächte waren aufregend und anstrengend zugleich. Die kleine Blonde mit ihren superkurzen, gelben Hotpants und dem Bikinioberteil geistert mir immer noch im Kopf rum. Ich erinnere mich immer noch an ihren Geschmack und an ihr leises Gewimmer. An ihre zarte, weiche Haut. Wie es sich anfühlt, sie mir gefügig zu machen. Zuzusehen, wie sie starr erträgt, was die anderen beiden mit ihr machen. Meine Hose wird eng. Ob sie mittlerweile wohl wieder gehen kann? Wir haben ihr jedenfalls eine unvergessliche Nacht beschert und ich war der Erste, der sie hatte, nachdem wir endlich ein ruhiges Plätzchen gefunden haben. Die Dunkelhaarige, die uns verjagt hat, wäre auch nicht schlecht gewesen, aber die hatte was an sich, puh. Daran will ich lieber nicht denken. Aber na ja, man sieht sich immer zwei Mal im Leben und für vorlaute Fotzen wie die hab ich was ganz besonderes im Repertoire.

In meinem Kühlschrank gibt es nichts mehr außer einer offenen Tüte Orangensaft. Keine Ahnung, wie lange der da schon steht, riecht auch schon etwas bitter, aber der Durst treibts rein. Er ist warm. Der Kühlschrank war schon kaputt, als ich die Bude hier vor zwei Jahren bezogen habe. Das Gesöff erfrischt mich nicht und jetzt endlich merke ich, wie müde ich eigentlich wirklich bin. Wie schwer meine Glieder sind. Wie angeworfen, sagt man. War eben ein verdammt langer Abend. Ich hab mir die Ruhe redlich verdient und steuere meinen Sessel mit dem schmutzig-grünen Samtbezug an und halte inne. Ich hab mir noch nie in meinem ganzen Leben Orangensaft gekauft.

Als ich den Staub beobachte, wie er im blassen Schein des Mondes tanzt und mir das Chaos ansehe, auf welchem er sich nieder legt, kommt es mir so vor, als wäre jemand hier gewesen. Mir wird etwas flau im Magen und mein Gehirn wird hart und nutzlos wie ein Brocken Stein. Alles sieht so aus wie immer, trotzdem habe ich das Gefühl, dass meine Sachen verrückt worden sind. Wenn’s nur ein halber Zentimeter wäre, würde es sich schon nicht mehr richtig anfühlen. Sowas fällt einem einfach auf, wenn man so lange schon an ein und demselben Ort haust. Also fange ich an zu suchen, grase den verwinkelten Raum mit Blicken ab, drehe mich um und – sehe in diese starren, schwarzen Augen, die mir einen kalten Schauer über den Rücken jagen.

Ich erstarre. Ich muss erwähnen, dass ich immer einsatzfähig bin, selbst wenn ich getrunken habe. Also muss irgendwas in dem Orangensaft gewesen sein, denn ich reagiere äußerst träge und langsam und nehme daher nur noch wie in Zeitlupe das kalte Lächeln wahr und die beiden Hände, welche ruckartig zu meinem Gesicht nach oben gehen und direkt unter meiner Nase etwas zerbrechen das klingt wie Glas. Sie trägt schwarze Handschuhe, das stelle ich noch fest und dann, aus einem dummen Reflex heraus ziehe ich die Luft ein. Als würde ich damit meine Kraft zurück erhalten. Ich kenne den fruchtig süßen, fast säuerlichen Geruch sofort und spüre, wie sich meine Blutgefäße schlagartig erweitern. Hitze rast über meinen schweißgetränkten Körper, mir wird noch schwindliger als zuvor und meine Beine geben unter mir nach. Mein Blutdruck fällt rasant ab, mein Kopf beginnt zu dröhnen und meine Umgebung verschwimmt, nimmt surreale Formen an. Eine erst violette, dann gelbe Scheibe schiebt sich in mein Sichtfeld und mit ihr der Teufel. Dann setzt auf Knopfdruck die hämmernde, ohrenbetäubend laute Elektromusik ein und begleitet mich und meine ungehörten Schreie für den ganzen Rest der Nacht.


“Sein Name war Jayden Havering. Ich kannte ihn nicht besonders. Habe ihn nur manchmal im Treppenhaus gesehen.“ antwortete Dana mit zittriger Stimme auf die Frage, ob sie den Toten oben im fünften Stock kannte und schlang die Arme um sich. Neben ihr stand Mrs Archer samt lädierter Gehhilfe und erzählte einem anderen Ermittler, dass sie schon immer gewusst habe, dass es mit dem Jungen irgendwann ein scheußliches Ende nehmen werde. Er sein kein guter Mensch gewesen. Unfreundlich bis aggressiv und allem voran geldgierig und eine Gefahr für alle jungen Frauen in der Gegend. Er habe sich an ihrer Schwiegertochter vergangen und ihren Sohn zusammen geschlagen. Er habe es nicht anders verdient.

Es gelang Dana nicht, zurück nach oben in den fünften Stock zu gehen. Jay hatte sich so lange nicht blicken lassen und weil sie sich sonst auch immer um Charlie gekümmert hatte, wenn er nicht da war, hatte sie die Tür zu seiner Wohnung aufgeschlossen und war hinein gegangen. Vogelfutter hatte er immer da. Sie versuchte die Bilder zu verdrängen, die sich immer wieder zurück in ihr Bewusstsein schoben. Guter Gott, Jay. Sie hatte ihn irgendwie gemocht und ihr hatte er nie etwas getan. Eher glaubte sie daran, dass er sie und Chris still und heimlich belauscht hatte, wenn sie es trieben und dass er sich dabei regelmäßig einen runterholte. Es machte ihr nichts aus. Und jetzt lag er da oben. An seinen eigenen Eiern erstickt. Er habe sie sich im Drogenrausch selbst abgeschnitten und versucht zu essen, hieß es.


“Mein Gott, Jay …“

“Er war kein guter Mensch. Abschaum. Er war Abschaum. Und er hat es nicht anders verdient.“

“Im Angesicht des Todes sind wir alle gleich, Mrs Archer. Wir alle.“
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Lou Cifer
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