by Signora Leta » 18 Apr 2016, 10:58
Ein Hauch von Herbst …
Einer zarten Liebkosung gleich strichen die Fingerspitzen über das schwere Büttenpapier, zogen die einzelnen Linien nach, aus welchen die darauf zu findenden Worte verfasst worden waren. Winzige Einschlüsse verwendeter Materialien, die über das reine Papier hinaus gingen und eine Oberfläche, die – so glatt sie für den Blick auch sein mochte – den Fingerspitzen ihre Struktur verriet. Nur für die feinen Sinne derer wahrnehmbar, die über mehr als nur sterbliche Empfindungen verfügen mochten.
Ein Hauch …
„Mei … bereite zusammen mit Deiner Schwester alles vor.“
Die Angesprochene hob nur leicht das Haupt, weit genug, um den Blick, welcher ihr geschenkt wurde, erwidern zu können, ehe sie die Lider wieder leicht senkte … so dass sie ihr Gegenüber zwar ansah, aber eben nicht … zu direkt.
Mei war nur allzu neugierig, was in den Zeilen stehen mochte, welche die Signora nun schon so lange nachdenklich betrachtete. Sie wusste, wer der Absender war und es erfüllte sie mit einem leichten Unbehagen, wenn sie daran dachte. Ein weiteres Mal verfolgte sie mit ihren Augen die Fingerspitzen, die dort auf dem schweren Schreibtisch über die ihr unbekannten Zeilen wanderten, diese nachstrichen, als würde sich in ihnen eine Nachricht verbergen, die nur so zu finden war. Filigran waren die Hände, welche sie da beobachtete … und so beherrscht.
Einen Augenblick lang erinnerte sich die zierliche Chinesin an die erste Berührung dieser Hände und wand sich innerlich. Ein köstlicher Schauer, der sich ausbreiten wollte und doch unterdrückt wurde. Es war alles schon so lange her. Nun wagte sie es, den Blick ein Stück weiter anzuheben und wanderte damit über die aufrechte, erhabene Gestalt der schönen und stolzen Toreador. Ihr fiel auf, dass die Körpergrösse der Rose doch recht durchschnittlich war … und auch, dass dies das Einzige war, das sie an Durchschnittlichkeit überhaupt erkennen konnte. Bei weitem das Einzige. Mei betrachtete die helle, rosige Haut, so makellos und zart und lebendig. Sie wusste, dass dies nicht stimmte und doch … kam ihr die Signora manchmal lebendiger vor, als sie selbst es jemals war. Sie liebte es, wie die Signora das schwarze Haar trug – kunstvoll hochgesteckt zu einer eleganten, wenn auch etwas altmodischen Frisur – und mochte es noch lieber, wenn es offen und glänzend und schwarz über den Rücken fiel. Ein viel zu seltenes Bild, wie Mei fand. Aber es hätte nicht zu der recht strengen, hochgeschlossenen Erscheinung gepasst, welche die Toreador in all ihrer Sinnlichkeit und Eleganz letztlich eben dennoch abgab. Ein Bild, das so viele Farben und Gesichter hatte … geradlinig und nicht zu berechnen …
„Wir werden New York wieder verlassen.“
Ihr Innerstes fühlte sich um einen Tagtraum betrogen, welcher nur den Hauch eines Moments angedauert hatte. Es bedurfte keiner Zustimmung ihrerseits, das Wort der Signora war für sie Gesetz und so erhob sich Mei, ging mit geneigtem Haupt einige Schritte rückwärts, verneigte sich ein letztes Mal und wandte sich dann der Tür zu. Dort angelangt wagte sie einen Blick über die Schulter zurück, während sie die schwere Türklinke nach unten drückte und das massive Holzgebilde aufzog. Wenn sie es recht bedachte, hatte sie die schöne Toreador so noch nie gesehen … so … ernst.
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Grey would be the color if I had a heart.