by Spook » 17 May 2016, 22:54
Der fahrbare Untersatz, mit dem Spook anreiste, war weit weniger auffällig, wenn er auch deutlich größer war und mehr Reifen hatte. Und viel mehr Sitze. Es war schon der zweite Bus am heutigen Abend, mit dem er fuhr, wobei er aus dem ersten kurz vor Schließen der Türen hinausgesprungen war. Alte Angewohnheiten wurde man schwer los. Im Gegensatz zu der lauten Musik aus dem Stingray drang aus den Knöpfen in seinen Ohren kein einziger Laut nach außen, was ein rücksichtsvolles Verhalten war, das nicht in das Bild im Kopf der älteren Dame zu passen schien, die Spook von ihrem Sitz schräg gegenüber misstrauisch beäugte. Eher noch misstrauischer, als er es bei Personen dieser bürgerlichen Sorte normalerweise der Fall war.
Zugegeben hatte sie in den letzten Jahren zu viel gesehen, um sich ihre hart erarbeitete Mittelstands-Seifenblase nun durch so etwas beeinträchtigen zu lassen. Er hatte keine Lust auf einen sinnlosen Disput und blickte stattdessen lieber auf die Spitzen seiner schwarzen Docs, die, durchaus auf eine schräge Weise der Gegend angepasst, zerkratzt und nicht besonders sauber, aber alles in allem nicht kaputt waren. Obwohl das glänzend schwarze Tape, das man an einigen Stellen um den Stiefelschaft geklebt hatte, derartige Schäden vielleicht auch verbarg. Das Tape war weiter um die Beine und die eng anliegende schwarz-grau gestreifte Jeans gewickelt, die keine echten oder künstlichen Risse aufwies, außer denen, die zugeklebt worden waren. Um das rechte Fußgelenk lag ein zweckentfremdetes Nietenhalsband, wobei sich das spitze Metall an den Gürteln wiederholte, von denen nur der zweckmäßigste einen Zweck außer Dekoration oder Abschreckung erfüllte. Die Lederjacke war in einem Zustand, der den Schuhen ähnlich war. Strapaziert, an ein paar Stellen mit Tape oder klassischen Sicherheitsnadeln geflickt, aber nicht ganz kaputt. Auf den Aufschlagen der Jacke fanden sich DIY-Buttons, die meisten anscheinend von irgendwelchen Bands, ein schwarzer mit einem roten A im Kreis. Rot war das Tuch, das um seinen Hals gewickelt war über einem leicht verwaschenen Misfits-T-Shirt. Die Handschuhe, die er heute trug, waren weder aus Leder noch aus Stoff, sondern allem Anschein nach aus undurchsichtigem mattschwarzem Latex und auch hier hatte man mit dem schwarzen Lacktape nachgeholfen. Um die Finger und am Handgelenk, halb unter einem weiteren Nietenarmband und einer vergleichsweise unauffälligen Uhr mit Lederarmband verschwindend.
Abgesehen von den Blicken gab es keine Kommentare bis der Bus an der schon bekannten Haltestelle einen Block von Silias Geschäft entfernt hielt und ihn ausspuckte. Ohne weitere Verzögerung schlenderte er in Richtung der Adresse des heutigen Abends, bog dann aber rechts ab, in die Parallelstraße. Aufmerksam aber möglichst unauffällig betrachtete er die Umgebung, die Dächer der Mittelschichthäuser, die Straßenränder auf der Suche nach...schwarzen Vans mit undurchsichtigen Scheiben. Oder anderen für die Gegend unpassenden Wagen. Ohne fündig geworden zu sein, blieb er vor dem Parkplatz hinter Silias Pottery stehen, warf einen Blick auf die Uhr, die ihm verriet, dass es etwa zehn Minuten zu früh war. Zehn Minuten, in denen er den schmalen Weg rechts des Hauses entlang gehen und die Kronen der Bäume studieren konnte. Die laute Musik, die ihm durchaus bekannt vorkam und die wenig unauffälligen Geräusche des herannahenden Wagens lenkten seine Aufmerksamkeit dann aber ab.
Bei einem weitern Blick auf die Uhr, wurde er Zeuge eines unfreundlichen kurzen Wortwechsels, dann stand er wieder weit genug an der Straße, um den Wagen sehen zu können, der definitiv nicht in die Gegend passte. Eine Kopfdrehung später erblickte er auch eine junge Frau, die das gleiche Ziel wie er zu haben schien. Ein Blick galt noch der Umgebung vor dem Haus, dann setzte sich wieder in Bewegung, und zog sich nebenbei die Kopfhörer aus den Ohren, um das Kabel um seine Finger aufzuwickeln, während er auf die Tür und die Fremde zuging. Die Haare waren so wie meistens, kinnlang und schwarz gefärbt ins Gesicht fallend auf der einen, extrem kurz auf der anderen Seite. Das freigelegte Ohr war den Rand entlang von silbernen Ringen und einem Industial-Stab durchbohrt, was aber unauffällig erschien im Vergleich zu den kleinen Silberringen, die sich von den Mundwinkeln zu den Wangenknochen aneinandergereiht durch die Haut bohrten und den Eindruck eines sehr breiten Lächelns hinterließen. Oder dem Versuch, ein solches zuzutackern. Das Gesicht darüber hinaus war zwar blass, aber nicht in unnatürlicher Weise, etwas hager mit leicht hohlen Wangen unter dem Silber und etwas zu tiefen Schatten unter den grauen Augen. Davon lenkte auch der schwarze Kajal nicht ab, mit dem man nicht gerade dezent verfahren war. Das Alter dieses Mannes war nicht so leicht zu schätzen, aber ein wütender Teenager war er wohl schon seit schätzungsweise zehn Jahren nicht mehr. Musste wohl eine andere Motivation haben für diesen Aufzug.
In einem Abstand von drei Schritten blieb er stehen, sah kurz zwischen der großen Statue und der scheinbar jungen Frau hin und her und hob dann die rechte Hand, um lässig zu grüßen: "Nette Musikauswahl.", sagte er dann mit einer heiseren Stimme und einem schrägen Lächeln, wobei er seinen Kommentar durchaus nicht ironisch zu meinen schien.
Every great injustice has been at the hands of someone
just following orders.