Kyrill Milanowitsch Romanow - Impressionen


Kyrill Milanowitsch Romanow - Impressionen

Postby Elynah » 12 Apr 2016, 14:07

Prolog

1904 - Sankt Petersburg


Kyrill Milanowitsch Romanow, reiß Dir die Beine aus und wirf sie in den Fleischwolf, das, was du da gerade tust ist auch nichts anderes.“ Mit einem schnalzenden Durchtrennen der Luft ging der Hieb der Gerte auf den Jungen hernieder - und wieder und wieder. Das Leder traf schnalzend das Bein des kleinen Jungen welches etwas verrenkt und leicht angewinkelt hinter seinem Körper in der Luft hing. Der Junge schloss schmerzverzerrt die Augen, dann hielt er die Position. Es gab keinen anderen Weg, wegrennen würde bedeuten er hätte versagt. Auf das harsche Kommando seines Lehrers kam nun Leben in die Figur, die dort schon viel zu lange bewegungslos in ein und derselben Position verharrt hatte. Geschmeidig und leichtfüßig hatte er sein Bein wieder hinab auf den Boden geführt und seinen Oberkörper in einer parallelen Linie zum Spiegel gebracht, der an der Wand befestigt war. Für einen kurzen Moment trafen die beiden Augen des Kindes auf die narrative Reflexion im Spiegel. Das, was er sah war das Produkt seines eigenen Willens, ein Ausdruck seines Inneren. Doch war da mehr als das, was er bisher gekannt hatte - er fühlte eine gewaltige Energie, die erst seinen Geist, sein Wesen und schließlich auch den Körper durchdrang. Es lagen Stolz, Eigensinn und ein gewaltiger Wille im Glanz seiner Augen. Vielleicht war es das, was seinen Lehrer so regelmäßig aus der Haut fahren ließ. Der Schmerz, den er fühlte formte sich in etwas anderes, Begehren und der Drang nach mehr, nach etwas Göttlichem – und endlich, als wäre die Zeit inzwischen still gestanden, trat sein rechtes Bein hervor und leitete die Drehung ein … .

Februar 1917, kurz vor der Februarrevolution - Sankt Petersburg

Sternklar – die Luft war beißend kalt auf der Dachterrasse des Mariinskij Theaters. Der wärmende weiße Pelz lag jedoch zwischen dem wohlgeformten Körper des durchtrainierten Tänzers und der eisigen Wirklichkeit Sankt Petersburgs. Seine Realität teilte er mit dem Zaren, dessen Zeit gezählt war – dabei war es Nikolaus der II, der dem Land das Herz und den Stolz gab, und auch die nötige Peitsche, die es aufblühen lassen würde – aber die Revolutionäre schienen zu dumm um dies zu begreifen. Wandel und Wohlstand würde nicht wie ein Zauber über das Volk hereinbrechen, ohne das es etwas dafür tun würde – das war ihm bewusst. Der Zar war jedoch das Blut, der Geist und das Herz des Landes. Er fühlte Verachtung gegenüber den Revolutionären. Sie begriffen nicht dass der Zar das Volk zu etwas Besserem formen wollte, sie mussten es nur zulassen. Es war eine Ehre für ihn, seine Kunst in diesem Zarentheater zu leben.

Der Auftritt war ein Erfolg gewesen. Während er tanzte, vergaß er die Welt um sich herum, selbst den Zaren. Da waren nur noch er, sein Körper und etwas … wildes, das tief in ihm saß und ausbrach, sobald er tanzte. Er lehnte sich leicht über die Brüstung und betrachtete seine Stadt. Tanzte er, wurde er selbst zum Zaren, niemand der ihm sagte wie er sich bewegen musste. Er war es der entschied wie sich sein Körper zu bewegen hatte – festgelegten, uralten Choreografien gab er seine eigene Note, bis es sich schließlich zu etwas Freiem gewandelt hatte. Die Eiseskälte, die über sein Gesicht strich ließ, wie seine derzeitigen Gedanken, ein leichtes bösartiges Lächeln über seine Lippen huschen.

[i]Im Schnee, viele Straßen weiter, verdeckten die fallenden Schneeflocken den leblosen Körper, dessen fein säuberlich aufgeschnittene Kehle zu einem reichhaltigen Blutstrom geführt hatte. Kontrastreich zu seinem Untergrund, glänzte das schon gefrorene Blut durch den feinen Film der frisch gefallenen Schneeflocken. Der erste Tänzer des Mariinskij Theaters war nun Kyrill.[/i]
Elynah
 
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