Und tatsächlich klappt das erstaunlich gut. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, lag ihr letzter Tanz dieser Art doch bereits tatsächlich eine beträchtliche Zeit zurück; war mehr eine Wolke aus Erinnerungen und Bildern, denn einer wirklich gemachten Erfahrung. Trotzdem stellt sie sich zu ihrer eigenen Überraschung, gar nicht so dumm an wie sie selbst prophezeit hatte. Natürlich war eine Drehung hier und da nicht ganz sauber; ein Fuß zu schnell, zu langsam oder nicht bewusst gesetzt. Ja, mitunter musste er schon korrigierend eingreifen um sie beide im Takt der Musik, als auch im Fluss der Bewegungen zu halten doch hier zeigt sich seine natürliche Begabung, Leidenschaft und in jahrelangem Training erarbeitetes Können.
Anders als er muss sie sich aber ziemlich auf das konzentrieren, was sie da eigentlich macht. Es war jetzt nicht so, dass sie wortlos Takte auszählte oder andauernd auf ihre Beine starrte aber hin und wieder… doch. Bemerkt sie es, scheint sie mit sich selber unzufrieden und hebt den Kopf sofort wieder an. Eine große Hilfe ist da wiederum seine gelungene Führung, mit der sie im Grunde genommen gar keine andere Richtung einschlagen kann, als die von ihm vorgegebene. Durch geschickte Verlagerung von Gewicht und Oberkörper, hat er sie auch was die Schrittfolge betrifft auch nach einiger Zeit recht zuverlässig dort, wo er sie haben will. Feinheiten und Details spielten derzeit noch keine Rolle. Sie tanzten Tango. Zwar noch nichts dass man mit offenem Mund hätte bestaunen können aber im Vergleich zu dem was Nicht-Tänzer auf dem Parkett fabrizierten, war man mittlerweile ganz passabel. Erweiterung des Zurückgehens, ein Cortè und ein Valentino. Grundschritt, Drehung, noch einmal. Er ist da und gibt ihr Halt mit den Händen, erinnert sie an die richtige Körperspannung und führt sie im Anschluss in die Promenade über. Solange er diesen engen Körperkontakt zu ihr aufrecht hält, hat sie die Sicherheit keinen allzu großen Fehler zu begehen. Offene Figuren, bei denen auch einiges an Geschick und Können von ihr verlangt werden würde, kämen erst später. Zum Glück. An ihrem Gesicht kann man deutlich erkennen, dass sie fürs erste recht zufrieden mit sich, ihm und ihrer ersten gemeinsamen Tanzstunde scheint. Übung macht den Meister, nur nicht aufgeben. Der Rest kommt von allein, genauso wie der Spaß daran. Gerade letztgenannten, scheint sie ohnehin bereits schon zu haben. Gerne würde sie bereits etwas auf seine Worte erwidern aber die hohe Kunst der Kommunikation während eines Tanzes, hat sie bei weitem noch nicht gemeistert. So nickt sie nur konzentriert auf seinen Vorschlag hin: „Gut, lass uns noch ein paar Lieder tanzen, wir haben ja noch den ganzen Abend Zeit uns ausgiebig zu unterhalten.“
Gesagt – getan. Die Übungen gehen weiter. Er führt, sie folgt und versucht sich an den verschiedenen, bereits vorgezeigten Figuren. Eine Promenade, der Grundschritt, einige Drehungen. So tanzen sie allmählich recht sicher durch den abgetrennten Bereich, bis auch die letzten Takte der Musik verklungen sind. Mit einem verspielten Knicks, lächelt sie ihm zu und lässt ihren Blick dann noch einmal langsam über seine ansprechende Erscheinung gleiten. „Vielen Dank. Ich hatte ja schon mit verstauchten und umgeknickten Knöcheln und einer unglaublichen Blamage gerechnet aber das war doch schon ganz passabel für meine Verhältnisse. Ich muss zugeben, dass ich selbst ein wenig überrascht bin. Scheinbar war die Wahl des Einzelunterrichts, genau die richtige Entscheidung. Nicht zuletzt deshalb, weil du so ein fabelhafter Tänzer bist und ausgesprochen gut führst. Wäre das nicht so, hätte ich wohl jetzt schon keine Lust mehr aber im Gegenteil: Es macht mir immer mehr Spaß.“ Mit einem leichten Lachen, lässt sie die Schultern ein wenig kreisen und schüttelt nacheinander die Beine. Lockerungsübungen, mochte man meinen.
„Du sagst also, dass deine Leidenschaft für Tango bereits vor deinem Werden bestand hatte und nicht der Grund dafür war? Merkwürdig, ich wäre jede Wette eingegangen dein Talent beim Tanzen hätte deinen Erzeuger dazu bewogen dich auszuwählen. Es mag zwar etwas klischeebehaftet sein aber immerhin ist auch das Tanzen eine Art von Kunst. Und Kunst, Ästhetik und Leidenschaft ziehen uns immer an. Zumindest den Großteil unsere Familie. Wir entstammen doch derselben Familie oder?“