Die Straße selbst war nach wie vor das beste Kino. Es kostete keinen Eintritt, man musste sich auf kein festgelegtes Programm einstellen und da es für das wahre Leben keinen Trailer gab, kannte man die besten Gags auch nicht schon lange vorher.
Da die Platzwahl frei war, hatte die junge Frau sich einen Treppenaufgang zu einem anscheinend verlassenen Wohnhaus ausgesucht und als Leinwand hatte sie den Pritzker Park gewählt. Dort saß sie in ungefähr der Mitte der Treppenhöhe, die Unterarme auf den Knien abgestützt, eine Rumflasche lose mit beiden Händen festhaltend.
Es war Juni und somit selbst tief in der Nacht noch ziemlich mild. Selbst der Stein unter ihrem Hintern verströmte keine Kälte mehr und sie musste es ja wissen, denn sie trug kurze, dunkelblaue Jeansshorts, die ziemlich lädiert aussahen. Der Stoff war aufgerieben und löchrig, in der Modewelt hätte man das wohl Destroyed-Look genannt, nur dass diese Hose eben tatsächlich komplett abgetragen und nicht etwa extra so hergestellt worden war. Die nackten Beine waren lang und sportlich schlank, die Haut glatt und sonnengebräunt und bis auf ein paar helle Narben, die sie sicher noch aus ihrer Kindheit hatte, so gut wie makellos. Die Füße steckten in schweren Springerstiefeln, die jedoch nicht bis ganz nach oben geschnürt waren. Genauso abgetragen wie die Shorts. Dazu ein schwarzes, geripptes Tank-Top, eine graue Pilotenbrille, die am Ausschnitt hing und eine ziemlich gelangweilte Miene im Gesicht. Das Haar indes hatte sie zu einem straffen Zopf zurück gebunden.
In ihrer Nähe befand sich eine Straßenlaterne, welche einen matten, flimmernden Lichtkegel warf. Motten tummelten sich darin und ein paar Mücken. Eine übermäßig volle Mülltonne verströmte einen wenig einladenden Geruch nach verdorbenen Essensresten und sich darin suhlenden Maden. Glück für die junge Frau, dass ein leichter Wind ging, welcher den Geruch in eine andere Richtung als die ihre trieb.
Lebendig war die Ecke um diese Zeit nicht mehr gerade, aber eben auch nicht ausgesprochen tot. Es gab einzelne Fußgänger, manchmal kleinere Gruppen. Die Fahrzeuge waren schon wesentlich häufiger an der Zahl. Sogar im Park schienen sich noch ein paar Gestalten herum zu treiben. Alles in allem war die Kinovorstellung eben etwas mau, was auch den gelangweilten Gesichtsausdruck der jungen Frau erklärte.
Immerhin hatte sie Rum. Vielleicht ließ sich ja etwas schöntrinken.